INTERVIEW

Christian

Mein Name ist Christian. Meine Perspektive beim Beantworten der Fragen ist desweiteren davon geprägt, dass ich 54 Jahre alt bin, weiß, gebildet, eher introvertiert und unauffällig neurodivers. Angezogen entspreche ich durchaus mancherlei Schönheitsnormen (durchschnittlich groß, eher schlank, ...). Geldverdienen und Eheleben stand ich immer eher skeptisch gegenüber (alles so binär sortiert!!); die »Mitte der Gesellschaft« und »Normalsein« sind bis heute keine erstrebenswerten Ziele für mich. Oh ja, und außerdem waren meine Eltern zwar aus der Kirche ausgetreten (und ich damals als einziges Kind in der Schule nicht getauft), ziehe aber schon lange viel Energie zum Widerstand aus meiner Perspektive auf Jesus und G*tt.

Familienkonstellation

Wie lebst du jetzt (im Hinblick auf die Familienkonstellation)?

Wir sind drei Eltern mit zwei Kindern. Unsere Kinder sind 2008 und 2010 geboren. Allerdings teilen wir nur die Elternschaft zu dritt, das aber immerhin recht exklusiv. ;) In die offene Paarbeziehung ist das dritte Elternteil nicht mit einbezogen.

Wie ist deine rechtliche Situation bezüglich deines Kindes/deiner Kinder?

Aus staatlicher Sicht komme ich gar nicht vor: Ich bin nicht verheiratet, und ich bin nirgends als Elternteil eingetragen.

Elter werden

Wie war dein Weg dahin Elter zu werden?

Einen Kinderwunsch hatte ich nie. Ich weiß nicht, ob das daher kommt, dass ich mich nie als Frau oder Mann gefühlt habe – ich war ja noch so aufgewachsen, dass es halt Frauen und Männer sind, die Eltern werden: Männer zeugen und Frauen gebären. Wenn ich also nicht Mann oder Frau bin, wie soll ich dann Elternteil werden? Als meine Beziehungsperson mit dem Thema ankam, fühlte ich mich mit einem Male gänzlich »unnütz« – und das nach all den vorhergegangen Jahren stärkenden Empowerments! Außerdem war mir recht schnell klar, dass ich keine tauglichen Rollenvorbilder hatte. Es kam für mich nicht in Frage, immer nur dann da zu sein, wenn ich gerade »sonst nichts« zu tun hatte. Es kam aber auch nicht in Frage, »alles für die Kinder aufzugeben«. Zum Glück konnten wir über alles offen reden. Für den dritten Beteiligten führte genau das ja dann auch zur passenden Konstellation. Heute empfinde ich es als eines der größten Geschenke in meinem Leben, Elternteil geworden zu sein.

Hat deine aktive Auseinandersetzung mit deiner Geschlechtsidentität und/oder dein (erstes) Coming-out als trans*_nichtbinär schon vor deinem Elterwerden stattgefunden oder begonnen? 

Ja, um Jahrzehnte.

Hast du dich bzw. habt ihr euch hinsichtlich der Besonderheiten von trans*/queerer Elternschaft beraten lassen? Welche Erfahrungen hast du in diesem Zusammenhang gemacht?

Meine Beziehungsperson redet gerne mit anderen, um zu Entscheidungen zu kommen. Und weil es in Köln noch nichts dazu gab, hat sie eine Gruppe dafür gegründet (die es bis heute gibt). Ich hingegen brauche oft eher Raum für mich selbst, um an meine Fragen, Bedürfnisse und Möglichkeiten ranzukommen. Mich irritiert der Austausch mit anderen oft eher. Ich fange dann an, mich zu vergleichen. Und meistens fällt das Vergleichen nicht »zu meinen Gunsten« aus: Die Voraussetzungen sind oft andere, die Wünsche sind oft andere, die Herangehensweisen sind oft andere – und die der anderen wirken oft erst mal nachvollziehbarer und »berechtigter« als meine. Das war übrigens bei meinem Weg zum nicht-binären trans* maskulinen Wesen genauso: Ich habe nirgendwo wirklich reingepasst und musste erst mal von vielem Abstand nehmen, um zu mir zu finden.

Wie waren deine Erfahrungen mit medizinischem Personal während der Schwangerschaft(en) und gegebenenfalls der Geburt(en)?

Entweder haben wir wirklich keine blöden Situationen erlebt oder ich habe sie gut verdrängt. Bei der ersten Geburt waren wir durchgehend alle drei mit eingebunden und haben hinterher ganz selbstverständlich ein Familienzimmer für unsere Konstellation bekommen. Auch bei der zweiten Geburt gab es überhaupt gar nichts Komisches in Bezug darauf, dass wir zu dritt Eltern geworden sind. (Ich frage die anderen beiden Beteiligten nochmal dazu. Mir entgeht ja auch manches.)

Familienalltag

Was macht dir im Moment im Hinblick auf deine Elternschaft am meisten Freude?

Erstens die Kinder selbst! Dann unsere Konstellation mit der Dreier-Elternschaft; das ist einfach immer noch toll. Drittens, dass wir immer noch Teil eines Umfeldes sind mit Freundeskreis (samt sehr naher anderer Familienkonstellation) und Anbindungen an Bezüge, die uns unabhängig vom Elternsein wichtig waren oder sind (Szene, Aktivismus, für mich auch die MCC-Gemeinde). Also, die aufgegangene Tür zum Elternsein war nicht damit verbunden, dass andere Türen zugehen mussten. Viertens die Begleitung und Unterstützung der Herkunftsfamilien, die von uns allen dreien mit eingebunden sind. Fünftens ein toller Arbeitgeber, wo Familienthemen (allgemeine und unsere speziellen) mitgedacht werden. Und nicht zuletzt die Diskurse zu den ganzen Umwälzungen in oder durch Familienthemen, die gerade gesamtgesellschaftlich dran sind oder dran wären. Manchmal macht sich das alles in einzelnen Momenten fest; zum Beispiel, wenn wir unter offizielle Dokumente einen dritten Strich ziehen, damit wir alle drei unterschreiben können. :) Aktuell freut mich aber auch ganz besonders, dass unsere Kinder immer noch ganz selbstverständlich von mir als »sie« reden, während all ihre Freunde denken müssen, dass mit mir ein »er« am Tisch sitzt. ;)

Was sind zurzeit für dich die größten Herausforderungen am Eltersein?

Buhäää, dass die Kinder größer werden und immer mehr ohne ihre Eltern machen wollen. :( :( :(

Welche Herausforderungen gab es im Familienalltag, die mittlerweile überwunden sind?

Ich glaube, das Vertrauen, das wir am Anfang ja eher hoffnungsvoll in unsere Konstellation gesetzt hatten, musste sich im Alltag erstmal bewähren und beweisen. Und das hat sich im Lauf der Jahre tatsächlich so eingespielt, dass es nun zu einem erlebten und belastbaren Vertrauen geworden ist. Das mussten wir uns früher schon manchmal mehr erarbeiten als jetzt. Die größte gefühlte Herausforderung war dabei gar nicht meine (vorhandene oder fehlende oder nicht eindeutige und nicht gleichbleibende) Geschlechtsidentität, sondern die Position des Vaters als eines dritten Elternteils, das nicht innerhalb einer Paarbeziehung positioniert ist. Aber auch eine Paarkonstellation, die dann auch Elternkonstellation wird, muss sich erst bewähren und einpendeln. Ich fand es immer äußerst hilfreich, dass Eltern- und Paarkonstellation bei uns nicht identisch sind: Immer, wenn sich zwei auf ihrer Ebene verhakeln, gibt es eine dritte Person, die gewisse Dynamiken unterbrechen kann. Vielleicht ist es sogar ähnlich hilfreich, nicht nur zwei bzw. nicht nur binäre Geschlechter mit an Bord zu haben: Der Zugriff unbewusster Rollenmodelle ist dadurch bestimmt auch erschwert. :)

Wie möchtest du von deinem Kind/deinen Kindern genannt werden? Wie nennen sie dich?

Meistens nennen sie mich einfach nur »Ines« und »sie«. So handhaben auch wir drei Eltern das untereinander. Ich finde das wundervoll – männlich aussehen tue ich genug, das soll nicht das letzte Wort haben. :) Für mich als Kind war »Ines« übrigens nie eine geschlechtlich konnotierte Anrede. Ich kannte keine andere Person, die so hieß. Für mich war das einfach mein Vorname, nicht ein Männer- oder Frauenname. Irgendwie knüpft es genau daran an, wenn unsere Kinder mich jetzt auch so nennen. Für mich passt es genau so wie damals. Vielleicht sind sie die ersten, die auch damit aufgewachsen sind, dass das nun mal MEIN Name ist und kein »Frauen-« oder »Männername«.

(Wie) Sprichst du mit deinem Kind/deinen Kindern darüber wie sie „entstanden“ sind bzw. wie sie zu dir/euch gekommen sind?

Naja, wir haben schon entsprechende Kinderbücher gehabt und so; aber an explizite Gespräche dazu kann ich mich nicht erinnern. Auch dazu sollte ich die andern beiden vielleicht mal fragen. ;) Ich habe keine Ahnung, ob/inwieweit unsere Kinder die Ansprachen von uns dreien als »Mama, Papa, Ines« schon oder jemals biologistisch aufgefasst oder interpretiert haben.

(Wie) Sprichst du mit deinem Kind/deinen Kindern über dein Trans*-/Nicht-binär-Sein?

Das war immer nur situativ ein Thema. Am schönsten war es beim Kinderschwimmen. Das ist ja eh schon ein schönes Durcheinander: Wessen Geschlecht zählt denn jetzt bei der Auswahl der Umkleidekabine – das des Kindes oder das des begleitenden Erwachsenen? Einmal standen wir beide auf dem Flur und ich rätselte, da meinte unser 6-jähriges Kind: »Ist doch egal, du kannst doch beide Kabinen nehmen!« Ich darauf etwas zögerlich: »Ja, aber das wissen die anderen doch nicht...« Kind ganz ohne zu zögern: »Na dann erklärst du es ihnen halt!«

Was war als Kind dein Lieblingsbuch? 

Ich habe fast alles verschlungen, aber am meisten erinnere ich mich an »Die drei Räuber« und an »Das große Lalulalula«. »Die drei Räuber« habe ich am liebsten für mich alleine gelesen; es enthielt (und erzeugte) eine zauberhafte Mischung aus Furcht, Mut, Barmherzigkeit/Solidarität und Gerechtigkeitsanspruch (haha, diese Mischung hat mich auf meinen Lebenswegen auch oft begleitet, stelle ich gerade fest). »Das große Lalulalula« hat uns unsere Mutter oft vorgelesen. Ihre Stimme war so vertraut, nah, Geborgenheit gebend, und dazu dieser »Text«: so ganz unvertraut, verwirrend, offengehalten, frei, ...!

Was sind aktuelle oder dauerhafte Lieblingsbücher deiner Kinder? 

Öhm, ähm, naja, also, wir haben ihnen viel angeboten! Ein Blick in ihre Schränke offenbart aber ihre Entscheidungen: »Die Schule der magischen Tiere« und »Mein Lotta-Leben«!

Umfeld

Wie hat dein Umfeld auf dein Elterwerden und Eltersein reagiert und wie gestaltet sich das mittlerweile? Welche Erfahrungen hast du mit Freund*innen und gegebenenfalls deiner Herkunftsfamilie gemacht? Was hättest du dir gewünscht?

Meine Herkunftsfamilie reagierte durchweg positiv. Sobald wir drei uns einig waren, hatten wir aus allen drei Strängen direkt mal die werdenden Großeltern eingeladen und an einen Tisch gesetzt. Das war ein sehr guter Einstieg. Wahrscheinlich waren sie alle froh, ineinander jeweils seriöse Mitgroßeltern zu sehen. ;) Unsere Verbindung zur Szene hat auch keinen Abbruch deswegen erlitten; wir haben die Kleine erstmal direkt mit zur nächsten AUSNAHME-Party geschleppt – dafür hatte sie zu der Zeit ja eh noch genau den passenden Schlafrhythmus. :) :) Auch das war und ist ein Vorteil von unserer Dreierkonstellation: Es gab und gibt ja auch immer die Zeiten, in denen die Kinder im anderen Haushalt sind und Unternehmungen auch möglich sind, wenn sie nicht kindertauglich sind. Das ist schon ein großes Privileg. 

Welche Erfahrungen hast du in Trans*- und/oder queeren Communities gemacht?

Ich finde, es ist noch schwieriger geworden, als Teil der Community erkannt zu werden – innerhalb UND außerhalb der Community. Für FLINTA-Räume fühle ich mich ja auch alleine schon oft zu »maskulin« und ganz unsicher. Wenn ich als trans*-maskuliner Mensch mit meiner weiblich gelesenen Beziehungsperson unterwegs bin, gehen wir erst recht als cis-Heteropaar durch; das wird mit Kind(ern) natürlich nicht einfacher. Und wenn der Vater und ich zusammen mit den Kindern unterwegs sind, werden wir in Köln wahrscheinlich eher wieder für ein schwules Elternpaar gehalten als für zwei aus einer Dreierkonstellation. Ich alleine mit Kind bin natürlich auch immer sofort »der Vater«. Grrrr!!! Am besten ist es, wenn wir alle fünf zusammen unterwegs sind. Dann möchte ich schon manchmal in die Köpfe der anderen reingucken. Aus Familientickets im Museum sind wir jedenfalls immer raus; das geht höchstens mal mit drei Kindern, aber nie mit drei Erwachsenen. Da hilft auch alles Diskutieren und Erklären nix. Oh sorry, jetzt bin ich von der Frage abgewichen.

Wie können deiner Meinung nach cis Co-Eltern/Partner*innen/Bezugspersonen trans*_nicht-binäre Eltern im Hinblick auf Elterwerden und -sein gut unterstützen? 

Ich glaube, ich fühle mich von den anderen beiden deswegen so gut unterstützt, weil wir konventionelle Anteile von Elternsein nie gegeneinander ausspielen. Ich habe nie erlebt, dass zum Beispiel »leibliches Elternsein« gegen »soziale Elternschaft« ausgespielt wurde (oder umgekehrt!). Oder dass »Paarbeziehung« ausgespielt wurde gegen »Single abseits der eigentlich wichtigen Beziehungsachse«. Insofern wurde mein nicht-binäres trans* Sein nie zu einem Faktor, der in unserem Gefüge mit einem Mehr oder Weniger verbunden gewesen wäre. Das einzige Mal, wo ich auf die beiden geburtsurkundlichen Elternteile angewiesen war (bei einer Reise mit einem der Kinder ins nicht-europäische Ausland), habe ich ganz selbstverständlich Vollmachten bekommen – und auch das war eher ein gemeinsamer Akt von Ermöglichen und Verantwortung als ein Gnadenakt von ihnen nach einer Bittstellerei von mir. Ich hatte nie das Gefühl, wirklich nie!, als Elternteil weniger wert oder weniger relevant zu sein. Ich habe nicht mal das Gefühl, dass sie mich »unterstützen« – als wäre ich in einer Position, in der ich auf ihre Unterstützung angewiesen wäre. Da fängt es doch schon an!...

Kita/Kindergarten, Schule und andere Institutionen

Wie gehst du/geht ihr in der Kita und in der Schule des Kindes/der Kinder mit Infos zu eurer Familienkonstellation um?

Wenn möglich, treten wir immer alle drei in Erscheinung. Mal zu dritt, mal einzeln, mal in Zweierkonstellationen; wie es gerade geht. Entweder ist damit schon alles geklärt, oder wir erklären halt noch mehr bei Bedarf.

Wie erlebst du den Umgang von anderen Kindern, anderen Eltern, Erzieher*innen und Lehrkräften mit eurer Familienkonstellation? 

Sollten sie Fragen haben, wurden diese zumindest nie an mich herangetragen. :)

Gab es schwierige Situationen in Kita und Schule? Wenn ja, wie gehst du/geht ihr damit um? Wie unterstützt du/ihr deine/eure Kinder?

Ich habe keine schwierigen Situationen mitbekommen. Schwierig war eher der Druck, den uns andere VORHER gemacht haben: »Oh, mit Kindern MÜSST ihr jetzt aber heiraten, das wird doch rechtlich alles ganz unsicher und ungerecht, gerade für dich, wenn die anderen beiden in der Geburtsurkunde stehen und du nicht, oh oh oh...!« Zum Glück haben wir die rechtlichen Ungleichheiten nie in unseren Alltag hineinwirken lassen. Wir haben das von Anfang an einfach so gestaltet, wie wir selbst unser Elternsein verstanden haben, unabhängig von bestehenden oder fehlenden Anerkennungen von Staat oder Kirche. Ich glaube, darin liegt auch der für uns beste Schlüssel zur Unterstützung unserer Kinder: Wir sind für euch da, alle drei, mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen, aber nicht mit unterschiedlichen Graden an »erlaubter« Elternschaft. Wir sind Familie, aber nicht als eventuell problematische Familienkonstellation, die sich rechtfertigen oder beweisen oder gar verstecken muss. Sollte eine_r mit uns ein Problem haben, sind nicht wir das Problem. Als ob wir uns dann kleinmachen oder anpassen müssten. Nehmt das mit, Kinder!!! Wenn andere ein Problem mit euch haben, haben DIE ein Problem, NICHT IHR seid das Problem! 

Arbeitsplatz

Welche Erfahrungen hast du im beruflichen Kontext im Hinblick auf eure Familienkonstellation gemacht? Wie gehst du am Arbeitsplatz mit Infos zu eurer Familienkonstellation um? 

Auch bei allen Arbeitsplätzen, die ich als Elternteil hatte und habe, liegen die Karten auf dem Tisch. Rechtliche Ansprüche ergeben sich daraus zwar keine (auch nicht da, wo mein Alltag dem der rechtlich unterstützten Elternteile entspricht), aber zum Glück lief auch hier die Anerkennung am Arbeitsplatz nie über die rechtlichen Fragen, sondern über unsere gelebte Realität. Wo es eine Diskrepanz gibt zwischen dieser Realität und den rechtlich relevanten Formalitäten, wird das bei meinem aktuellen Arbeitgeberverein sogar schon von deren Seite aus registriert und erwähnt (manchmal mehr als von mir!). Immerhin können Arbeitgeber*innen das ja zumindest auch mitreflektieren und mitdenken. Beim Arbeitsamt war das schwieriger – da gab es nie wirklich einen persönlichen Bezug, und mein offizieller Status ist ja immer noch »unverheiratet« und »kinderlos«. Familie mit zu berücksichtigen ist halt auch nicht nur Frage von offiziellem Status; das können Arbeitgeber*innen auch so, z.B., dass Schulferien bei der Urlaubsplanung eine Rolle spielen, oder dass Arbeitszeiten manchmal flexibel sein müssen, wenn ein Kind krank wird und sowas. Nicht alle Spielräume müssen erst gesetzlich »genehmigt« werden.

Identität

Hatte Dein Elterwerden und / oder Eltersein Einfluss auf die Entwicklung deiner geschlechtlichen Identität, Rolle und/oder Performance? Wenn ja, welchen?

Nein, gar nicht. Eher umgekehrt: Ich bin sehr froh, dass das Elternwerden erst auf mich zukam, als ich bereits als nicht-binärer trans*-maskuliner Mensch unterwegs war. Ohne das hätte ich mich sehr schwer getan, in dem binären Konzept von Zeugung und Schwangerschaft auch nur ansatzweise einen Platz zu finden. Vor meiner Angleichung war mir klar: Zeugen ging nicht, Schwangerschaft ging nicht (wenn auch aus anderen Gründen). Als ich dann zum Kinderwunsch Stellung beziehen musste, war das schon ein bisschen anders: Zeugen wollte ich nicht (ich hätte bei unserer DIY-Insemination ja auch irgendwie daran beteiligt sein können, das Sperma zur Zeugung einzusetzen, das fand ich aber eine absurde Nachahmung dieser binären Rollen beim Elternwerden) – aber ich hätte mir als trans* Mann eher eine Schwangerschaft vorstellen können als früher. Schwanger zu sein hätte dann zumindest nicht mehr bedeutet, dass ich eine Frau bin. Aber ich wollte es trotzdem nicht. Niemals. Ich bin wirklich sehr dankbar dafür, Elternteil geworden zu sein, ohne dass ich dafür Sperma, eine Eizelle oder eine Schwangerschaft einbringen musste. :) :) :)

Wirst du durch dein Elterwerden oder -sein bezüglich deines Geschlechts anders wahrgenommen als vorher? Wenn ja, was hat sich verändert?

Hach, wie oben schon beschrieben: Mit Kind unterwegs zu sein verstärkt die binäre Außenwahrnehmung. :( Und zu dritt als Eltern unterwegs zu sein verstärkt die Fragezeichen. :) :) Allerdings hat sich mit der Zeit noch etwas ganz anderes verändert: Früher war Elternwerden oft eine »Gefahr« – Schwangerwerden galt es unbedingt zu vermeiden. Und Schwangerwerden wäre natürlich nur bei Heterosex eine mögliche Gefahr gewesen. Ich weiß nicht, wie wirkmächtig das an sich war; mir war Heterosex auch allein wegen patriarchaler Grundbedingungen nie ganz geheuer (überall lauern Machtverhältnisse...!). Jedenfalls fehlte mir schon immer ganz grundlegend der Bezug dazu. Als trans*-maskuliner Mensch jenseits der Wechseljahre erlebe ich beide »Gefahren« natürlich jetzt entweder gar nicht mehr oder anders als früher. Was ist denn jetzt in meinem Falle »heterosexuell«??? Sowohl mein Bezug zu Wahrnehmungen von mir als geschlechtskonnotierte Person als auch mein Begehren haben sich im Lauf meines Lebens immer wieder als fluid erwiesen – auch Elternwerden hat das nicht schockgefrieren können. :)

Haben sich deine eigenen Perspektiven auf Geschlecht durch die Elternschaft verändert? Wenn ja, wie?

Nein, unsere Konstellation hat höchstens nochmal bestätigt, dass Geschlechtszuweisungen und Geschlechtsrollen nicht deckungsgleich sein müssen. Und dabei denke ich gerade vor allem an die beiden anderen Elternteile: Wie die »Vatersein« und »Muttersein« ausfüllen, hat manchmal SEHR wenig mit Männer- und Frauenklischees zu tun. :) Für mich persönlich ist aber auch noch was ganz anderes sehr berührend: Unsere beiden Kinder zelebrieren es, als Mädchen aufzuwachsen. (»Was haben wir nur falsch gemacht??!« ;) ) Aber im Ernst, es ist für mich sehr versöhnlich zu sehen, dass das Spaß machen kann. (Naja, manchmal ist es im Nachhinein dann doch auch schmerzhaft, wenn ich an mein eigenes Aufwachsen denke.)

Tipps und gegenseitiges Empowerment

Welche Tipps oder bestärkende Worte für (werdende) trans*_nicht-binäre Eltern möchtest du gern teilen? 

Hör auf dich. Hör auf dich. Hör auf dich. Lass dich überraschen. Lass das sacken, und dann hör wieder auf dich – in manchem vielleicht anders als zuvor, in anderem vielleicht nicht. Hör auf dich. Und passe dich nicht vorauseilend und immer und unbedingt an rechtliche Bedingungen an. Wenn schon, dann müssen sich rechtliche Bedingungen auch mal an uns anpassen. Und wenn nicht, leben wir trotzdem so, wie wir wollen. Rechtliche Bestimmungen haben kein Recht, über unser Leben zu bestimmen. Bau dir Strukturen auf, die der Macht des Rechts nicht Macht verleihen, sondern sie verringern. Ach, noch was: Wir müssen nicht das Mama-Papa-Kind-Modell nachahmen. Das ist nicht der Maßstab!!! In den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrtausends hat das zur gesamtgesellschaftlichen Situation gepasst und deswegen funktioniert. Erfunden wurde es erst vor 200 Jahren. Und zu allen anderen Zeiten und in allen anderen Gesellschaften gab es andere Modelle. Heute funktioniert es zunehmend wieder nicht – ob LGBTAIQ* oder nicht. Ob wir Eltern werden dürfen oder nicht, ist keine Frage davon, wie »normal« wir verglichen mit diesem Modell erscheinen. Ok, mit »Normalsein« haben wir uns viele und wesentliche Rechte erkauft. Danke an die politischen Kampagnen dazu. Aber wir müssen uns nicht mehr in ein Modell hineinzwängen, das vielen anderen längst zu eng geworden ist. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wir bringen viele Erfahrungen mit, wie es außerhalb dieses Modells funktionieren kann! Die anderen sollten auch mal auf uns gucken, nicht immer nur wir auf sie! Lebst du als Polykül? Lebst du nicht exklusiv? Lebst du asexuell? Lebst du aromantisch? Lebst du genderfluid? Prima, dein Blick auf die Einzelaspekte von dem, was in »Familie« angeblich immer alles zusammenkommen soll, sind HERVORRAGEND dafür geeignet, so stabile Familien zu gründen, dass sie nicht kaputt gehen, wenn mal etwas davon NICHT mit allem anderen zusammentrifft! :)