INTERVIEW

Isabelle & Tina

Ich bin die »Tina« und bin gerade 35 Jahre alt geworden. Ich bin eigentlich eine binäre cis Frau, allerdings stimmt das in letzter Zeit auch nicht mehr so ganz für mich. Am ehesten fühle ich mich wohl mit dem Begriff genderfluid. Ich bin aktuell Hausfrau und Mutter, dennoch beschäftige ich mich niederschwellig mit queeren Aktivismus und bin auch in einem Verein aktiv. Ich komme aus dem Ruhrgebiet/NRW.

Ich bin die Isabelle und bin 41 Jahre alt. Ich bin eine binäre Transfrau, die seit neun Jahren geoutet lebt. Ich bin ebenfalls Hausfrau und Mutter, mit Tina bin ich seit fünf Jahren verheiratet und seit fast zehn Jahren zusammen. Ich wohne mit ihr und unserem Sohn ebenfalls im Ruhrgebiet/NRW. Ich würde mich als Trans*-Aktivistin bezeichnen und arbeite sehr viel (35 bis 45 Stunden pro Woche) ehrenamtlich im Verein und in der lokalen Szene meiner Heimatstadt, kommunalpolitisch bin ich niederschwellig aktiv, außerdem bin ich Trans-Peer-Beraterin.

Familienkonstellation

Wie lebst du jetzt (im Hinblick auf die Familienkonstellation)?

Tina und ich leben mit unserem 11 Jahre alten Sohn zusammen in einer Wohnung in NRW. Das Kind ist das leibliche Kind von Tina und ich habe seit der Heirat die Position der Stiefelternschaft inne. Der leibliche Vater wechselt kein Wort mit mir. Subjektiv bilden wir als zwei Frauen die Kernfamilie unseres Sohns und da wird auch kein Unterschied gemacht, ob leiblich oder nicht. Bei unserem Kind bin ich zumindest als halbe Frau akzeptiert und werde Isa genannt, was voll okay für mich ist. Tina ist seine Mami und diese Konstruktion wird von uns Dreien als positiv und gut empfunden.

Wie ist deine rechtliche Situation bezüglich deines Kindes/deiner Kinder?

Die rechtliche Situation zu meiner jetzigen Kernfamilie habe ich oben schon erwähnt. Ich habe allerdings auch noch ein leibliches Kind, zu dem ich leider keinen Kontakt habe. Da bin ich Sorge.- aber nicht Umgangsberechtigte.

Elter werden

Wie war dein Weg dahin Elter zu werden?

Mein persönlicher Weg dahin ein Elternteil zu werden, war nicht wirklich einfach, da ich noch als Mann ein Kind gezeugt hatte. Diese Familie hatte ich gegründet, bevor ich meine jetzige Kernfamilie kennengelernt habe. Leider habe ich heute keinen Kontakt mehr zu meinem Kind, da meine Ex-Frau eine sehr weite Distanz gewählt hat, eine Privatadresse hat und mir den Kontakt mit dem Kind verbietet. Aus meiner heutigen wirtschaftlichen Sicht ist es mir unmöglich rechtliche Schritte einzuleiten, weil dies einfach zu teuer wäre. Ich habe mein leibliches Kind seit sechs Jahren nicht mehr gesehen und vermisse meinen Sohn sehr. Nach der Trennung von meiner Exfrau jedoch konnte ich meine neue Frau kennen und lieben lernen, welche Elias, unseren Sohn, mit in die Beziehung und die Ehe brachte. Mittlerweile sind wir seit zehn Jahren zusammen, sind als Familie gut zusammengewachsen und haben eigentlich einen guten Umgang mit der Vergangenheit und der Gegenwart, in der wir als Eltern leben.

Hat deine aktive Auseinandersetzung mit deiner Geschlechtsidentität und/oder dein (erstes) Coming-out als trans*_nichtbinär schon vor deinem Elterwerden stattgefunden oder begonnen? 

Die aktive Auseinandersetzung mit meiner Geschlechtsidentität hat eigentlich stattgefunden, als ich in die Beziehung mit meiner jetzigen Frau eingetreten bin, quasi ist dies parallel passiert.

Hatte dein Coming-out als trans*_nichtbinär Einfluss auf deinen Kinderwunsch? Oder andersherum, hatte dein Elterwerden Einfluss auf dein Coming-out?

Mein Coming-Out als Transperson hat keinen Einfluss auf den Kinderwunsch gehabt. Ich persönlich wollte schon immer in einer Familie leben, wollte auch immer ein Kind großziehen und bin auch dankbar dafür, dass das geklappt hat.

Hast du dich bzw. habt ihr euch hinsichtlich der Besonderheiten von trans*/queerer Elternschaft beraten lassen? Welche Erfahrungen hast du in diesem Zusammenhang gemacht?

Eine Beratung zu dem Thema hat nie stattgefunden, wir sind so zurechtgekommen und sind unseren Weg gegangen. 

Familienalltag

Was macht dir im Moment im Hinblick auf deine Elternschaft am meisten Freude?

Am meisten Freude macht mir eigentlich an unserer Familie, dass dies der absolute safe space ist und dass ich hier als Transfrau vollkommen akzeptiert und anerkannt bin und das von allen Familienmitgliedern. Das ist ein sehr schönes Gefühl.

Was sind zurzeit für dich die größten Herausforderungen am Eltersein?

Die aktuell größte Herausforderung für mich persönlich ist es für das Kind auch im öffentlichen Raum als »Mutter« gesehen und akzeptiert zu werden. Besonders Einrichtungen wie Schule, Sportvereine oder auch der Umgang mit anderen Eltern ist für mich herausfordernd.

Welche Herausforderungen gab es im Familienalltag, die mittlerweile überwunden sind?

Besonders schwierig im Nachgang war der Umgang mit meiner Ex-Frau, solange dieser noch stattgefunden hat. Da dieser jetzt nicht mehr stattfindet, ist das somit auch überwunden. Eine weitere Hürde ist der Umgang mit dem Kindsvater unseres Kindes; allerdings scheinen wir uns gerade anzunähern, was sehr positiv ist. Eine weitere Hürde ist die Schule; allerdings haben wir die Herausforderung da mittlerweile im Griff und sind im guten Kontakt mit der Schule und konnten dort von uns überzeugen.

Wie möchtest du von deinem Kind/deinen Kindern genannt werden? Wie nennen sie dich?

Mir wäre natürlich am liebsten, wenn mich mein Kind Mama oder Mami nennen würde; allerdings bin ich meistens für ihn Isabelle und das ist für mich natürlich auch vollkommen in Ordnung. In manchen Situationen werde ich sogar Mami genannt, aber halt auch nicht immer.

(Wie) Sprichst du mit deinem Kind/deinen Kindern darüber wie sie „entstanden“ sind bzw. wie sie zu dir/euch gekommen sind?

Wir kommunizieren mit unserem Kind sehr offen darüber, wie es entstanden ist und dass unser Kind einen Vater hat, der nicht ich bin und das ist ihm alles bewusst, da er seinen Vater ja auch jedes Wochenende sieht.

(Wie) Sprichst du mit deinem Kind/deinen Kindern über dein Trans*-/Nicht-binär-Sein?

Auch zum Thema Trans*sein kommunizieren wir mit unserem Sohn sehr offen und nehmen da kein Blatt vor den Mund. Ich würde sagen, dass unser Sohn eines der aufgeklärtesten zehnjährigen Kinder ist, welches ich kenne. Ich möchte aber auch betonen, dass diese Aufklärung immer altersgerecht stattfindet.

Weißt du von Angeboten für Regenbogenfamilien und gegebenenfalls für trans*_nicht-binäre Eltern und ihre Familien in deiner Region? Wenn ja, nimmst du sie in Anspruch?

Jam ich weiß von Angeboten für Regenbogenfamilien. Wir nehmen hin und wieder auch Angebote wie zum Beispiel Schwimmen in Anspruch. Allerdings legen wir sehr viel Wert darauf, dass unser Kind in einem Gleichgewicht zwischen Trans* und Heteronormativität aufwächst, damit die kindliche Bildung nicht einseitig stattfindet.

Was war als Kind dein Lieblingsbuch? 

Ich habe eigentlich gar kein Lieblingsbuch aus meiner Kindheit. Ich kann mich nur sehr gut an Damals war es Friedrich erinnern.

Was sind aktuelle oder dauerhafte Lieblingsbücher deiner Kinder? 

Unser Sohn mag unglaublich gerne die Tagebücher von Greg und er liest gerne das Arazhul Comic Adventure. Und wenn Minecraft ein Buch wäre, dann könnte man das auch noch hierhin schreiben.

Umfeld

Wie hat dein Umfeld auf dein Elterwerden und Eltersein reagiert und wie gestaltet sich das mittlerweile? Welche Erfahrungen hast du mit Freund*innen und gegebenenfalls deiner Herkunftsfamilie gemacht? Was hättest du dir gewünscht?

Mein Umfeld hat eigentlich gar nicht darauf reagiert, weil meine gesamte Verwandtschaft nicht mehr am Leben ist. Das Umfeld meiner Frau hat sich über das Kind und ihr Elterwerden sehr gefreut und ist auch einverstanden mit unserem Familienkonzept, was nicht gleichzeitig bedeutet, dass alle einverstanden sind mit meinem Trans*sein.

Welche Erfahrungen hast du in Trans*- und/oder queeren Communities gemacht?

In der queeren Community haben wir eigentlich keine schlechten Erfahrungen gemacht. Besonders was unsere Elternschaft angeht, lassen wir auch keine Bewertungen aus der Community zu, weil dies unsere Entscheidung ist so zu leben.

Wie können deiner Meinung nach cis Co-Eltern/Partner*innen/Bezugspersonen trans*_nicht-binäre Eltern im Hinblick auf Elterwerden und -sein gut unterstützen? 

Am schönsten ist es eigentlich, wenn unser Kind ganz normal mit anderen Kindern spielen kann und unsere Lebensweise als Regenbogenfamilie hierbei nicht im Vordergrund steht.

Kita/Kindergarten, Schule und andere Institutionen

Wie gehst du/geht ihr in der Kita und in der Schule des Kindes/der Kinder mit Infos zu eurer Familienkonstellation um?

In der Schule sprechen wir mit Lehrern und Verantwortlichen vollständig offen und kommunizieren auch offen das Lebensumfeld, in dem unser Sohn aufwächst. Mit dieser Handhabung haben wir eigentlich noch keine schlechten Erfahrungen gemacht und werden dies auch weiterhin so tun.

Wie erlebst du den Umgang von anderen Kindern, anderen Eltern, Erzieher*innen und Lehrkräften mit eurer Familienkonstellation? 

Lehrer und andere Verantwortliche aus der Schule reagieren ganz unterschiedlich auf unsere Familie und sind in der Regel dem Thema gegenüber aufgeschlossen. Wenn dies nicht der Fall war, war es uns aber eigentlich immer möglich im Gespräch mehr Akzeptanz für uns zu erstreiten.

Gab es schwierige Situationen in Kita und Schule? Wenn ja, wie gehst du/geht ihr damit um? Wie unterstützt du/ihr deine/eure Kinder?

Natürlich gab es auch schwierige Situationen in Kindergarten, Grundschule oder Schule. Allerdings ist es uns mit Gesprächen und einer klaren Auseinandersetzung mit dem Thema immer gelungen das Problem zu lösen.

Arbeitsplatz

Welche Erfahrungen hast du im beruflichen Kontext im Hinblick auf eure Familienkonstellation gemacht? Wie gehst du am Arbeitsplatz mit Infos zu eurer Familienkonstellation um? 

Im Kontext unserer Elternschaft hat diese am Arbeitsplatz nie eine Rolle gespielt. 

Identität

Hatte Dein Elterwerden und / oder Eltersein Einfluss auf die Entwicklung deiner geschlechtlichen Identität, Rolle und/oder Performance? Wenn ja, welchen?

Dass ich ein Elternteil geworden bin, hat aus meiner Sicht nichts damit zu tun, dass ich transident* bin. Diese Dinge laufen aus meiner Sicht getrennt voneinander ab, zumindest in Bezug auf unsere Familie.

Wirst du durch dein Elterwerden oder -sein bezüglich deines Geschlechts anders wahrgenommen als vorher? Wenn ja, was hat sich verändert?

Ich denke nicht, dass ich anders wahrgenommen werde dadurch, dass ich ein Elternteil bin. Besonders in der Stadt oder zu anderen öffentlichen Anlässen werden wir so oder so anders wahrgenommen, so empfinde ich es zumindest. Ob dies nun positiv oder negativ ist, kann ich nicht beurteilen, weil ich nicht hinterfrage, warum die Leute schauen.

Haben sich deine eigenen Perspektiven auf Geschlecht durch die Elternschaft verändert? Wenn ja, wie?

Nein, meine Perspektiven auf Geschlecht haben sich durch unsere Elternschaft nicht geändert.

Tipps und gegenseitiges Empowerment

Welche Tipps oder bestärkende Worte für (werdende) trans*_nicht-binäre Eltern möchtest du gern teilen? 

Ganz grundsätzlich ist glaube ich ein Punkt am wichtigsten: Wissen ist Macht! Es ist unglaublich gut, wenn ihr mit dem Thema gut vertraut seid. Besonders in unserem Fall, da ich ja mit einer CIS Frau verheiratet bin, ist es gerade besonders wichtig eurem Partner, wenn ihr eine ähnliche Konstellation habt, Wissen über trans* oder nonbinäre Personen zu vermitteln. Denn wenn es irgendwann mal in der Schule zu einem Gespräch mit dem Schulsozialarbeiter kommt, ist es wirklich von Vorteil darüber frei und auch quellenbezogen sprechen zu können. Das hinterlässt Eindruck und zwar einen guten. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als zu sagen, es ist halt so, denn das wird im heteronormativen Umfeld nicht verstanden, und da es auch um unsere Kinder geht, ist es besonders wichtig die Leute um einen herum verstehen zu lassen. Außerdem finde ich es besonders wichtig, die eigene Transidentität* nicht mit der Kindheit des eigenen Kindes zu vermischen, denn vor allen Dingen bin ich eine Bezugsperson für mein Kind und dieses mag mich, weil ich es mag und das ist die natürliche Beziehung, die in einer Elternschaft vorhanden sein sollte. Und für mich ist diese geschlechtsunabhängig.