INTERVIEW

Kai

Ich bin Kai, 37 Jahre alt und Papi von zwei Kindern, die ich selbst ausgetragen habe. Ich bin ein trans Mann, lebe in einer langjährigen Beziehung mit einem schwulen cis Mann, der der Papa der beiden ist, und bin beruflich im medizinischen Bereich tätig.

Familienkonstellation

Wie lebst du jetzt (im Hinblick auf die Familienkonstellation)?

Mein Mann und ich haben vor der Geburt des ersten Kindes geheiratet, um die rechtliche Lage praktikabler und einfacher zu machen – und natürlich auch aus Liebe. :) Wir leben mit unseren beiden Kindern, die aktuell zwei und vier Jahre alt sind, und unserer Hündin zusammen in einer größeren Stadt, nahe bei der Herkunftsfamilie meines Partners.

Wie ist deine rechtliche Situation bezüglich deines Kindes/deiner Kinder?

Ich bin sorgeberechtigtes Elternteil beider Kinder, stehe allerdings auf ihren Geburtsurkunden mit dead name und unter Mutter, sodass ich mich beim Vorlegen selbiger (was zum Glück selten notwendig ist) jedes Mal outen muss. Dafür habe ich mir ein Schreiben vom Standesamt ausstellen lassen, in dem bestätigt und erklärt wird, dass ich mit der Person auf der Urkunde übereinstimme.

Elter werden

Wie war dein Weg dahin Elter zu werden?

Intensive Gespräche mit meinem Partner, vorübergehendes Absetzen des Testosterons, Warten, Probieren, Warten, Freuen, und dann nach einem Jahr noch einmal der gleiche Wahnsinn.

Hat deine aktive Auseinandersetzung mit deiner Geschlechtsidentität und/oder dein (erstes) Coming-out als trans*_nichtbinär schon vor deinem Elterwerden stattgefunden oder begonnen? 

Ja, weit vorher. Mir wurde bei der Geburt das Geschlecht weiblich zugeordnet. Mein inneres Coming-out als trans hatte ich, als ich circa 20 Jahre alt war, und kurz darauf mein äußeres. Nach Beginn der Hormontherapie mit Testosteron und der Mastektomie habe ich über zehn Jahre stealth als Mann gelebt.

Hatte dein Coming-out als trans*_nichtbinär Einfluss auf deinen Kinderwunsch? Oder andersherum, hatte dein Elterwerden Einfluss auf dein Coming-out?

Ja, ich denke, dass dieser dadurch erst einmal lange Zeit in den Hintergrund gerutscht ist, da andere Dinge wesentlich waren und mir als trans Mann, der dazu seit zehn Jahren in schwulen Beziehungen lebt, Vorbilder für Familien fehlten.

Hast du dich bzw. habt ihr euch hinsichtlich der Besonderheiten von trans*/queerer Elternschaft beraten lassen? Welche Erfahrungen hast du in diesem Zusammenhang gemacht?

Nein, wir hatten keine konkreten Anlaufstellen dafür und haben lediglich einmal ganz unqueerspezifisch zum Thema Elterngeld und -zeit einen Termin bei einer Beratungsstelle gehabt. Dort haben wir einige Fragen bezüglich unserer speziellen Situation gestellt, die sehr positiv und offen behandelt wurden.

Wie waren deine Erfahrungen mit medizinischem Personal während der Schwangerschaft(en) und gegebenenfalls der Geburt(en)?

In der Klinik, in der wir entbunden haben, wurden wir im Vorfeld noch einmal zum Gespräch eingeladen und gefragt, wie man uns/mich am besten unterstützen kann, und es wurde uns versichert, dass wir uns jederzeit sofort melden können und sollen, wenn vom Personal (oder auch sonst) unschöne Reaktionen erfolgen. Allein zu wissen, dass wir dort so willkommen sind, war sehr hilfreich und hat uns ein sehr positives Gefühl gegeben. Auch die uns betreuende niedergelassene Gynäkologin war zu jedem Zeitpunkt hoch motiviert und sehr hilfreich. Sie hat sich proaktiv informiert und uns viel Ballast abgenommen. 

Wie hast du/habt ihr entschieden, dass du versuchen möchtest schwanger zu werden?

Als wir einige Jahre zusammen und beide Anfang 30 waren, haben wir überlegt, welche Optionen wir als schwules Paar haben unseren gemeinsamen Kinderwunsch umzusetzen. Adoption und Pflegestelle erschienen uns beide als sehr schwierig und unwahrscheinlich. Schließlich habe ich eingeworfen, dass ich theoretisch noch die Organe habe, um ein Kind auszutragen, und wir haben gemeinsam entschieden, dies zu versuchen – erst einmal zu schauen, wie es mir mit dem Absetzen des Testosterons geht, und ob ein Zyklus/eine Fortpflanzungsfähigkeit zurückkommt, und mit der Option, diesen Versuch jederzeit wieder zu beenden, falls es mir damit nicht gut geht. Wir haben vorerst auch niemandem davon erzählt, dass wir das angehen – erst, nachdem es geklappt hatte.

Wie hast du die Schwangerschaft(en) erlebt?

Kurz zusammengefasst als sehr intensive und beeindruckende Erfahrungen, die sicher nicht zu den angenehmsten Zeiten meines Lebens zählten, und mir aufgezeigt haben, zu was für erstaunlichen Dingen (m)ein Körper in der Lage ist. Mit mir selbst war ich die allermeiste Zeit fein, solange keine »fremden« Menschen in meiner Nähe waren. Ich empfand die Schwangerschaften körperlich als sehr anstrengend und herausfordernd und hatte u.a. mit Übelkeit, Kreislaufproblemen und starken Dehnungsschmerzen zu kämpfen. 

Familienalltag

Was macht dir im Moment im Hinblick auf deine Elternschaft am meisten Freude?

Zu sehen, wie die beiden sich entwickeln und wie komplett verschiedene Persönlichkeiten sie sind. Wenn sie kommen und mit mir Zeit und Nähe verbringen möchten, ob als Kuscheln morgens nach dem Aufwachen vorm Aufstehen, zusammen herumtollen oder gemeinsam mit Knete spielen oder Bücher (vor)lesen.

Was sind zurzeit für dich die größten Herausforderungen am Eltersein?

Ruhig und zugewandt zu bleiben, wenn zusätzlich zum Stress durch Arbeit, Kindergartenschließzeiten, wenig Schlaf und me-time noch emotional herausfordernde Gefühlsausbrüche kommen, und diese zu begleiten. Exklusive Zeit für mich selbst und unsere Partnerschaft zu finden. Das Jonglieren mit den Bedürfnissen aller.

Welche Herausforderungen gab es im Familienalltag, die mittlerweile überwunden sind?

Das Suchen der Kinderbetreuungsplätze hat uns im Vorfeld viel Kopfzerbrechen bereitet. Hier konnten wir einen sehr aufgeschlossenen Träger finden, mit mehreren konstruktiven und achtsamen Gesprächen – im Endeffekt hat sich hier keine unserer Befürchtungen bezüglich beispielsweise Diskriminierung/Reserviertheit bestätigt.

Wie möchtest du von deinem Kind/deinen Kindern genannt werden? Wie nennen sie dich?

Ich bin Papi und mein Partner Papa; das klappt sehr gut. Der Kleine nannte uns beide jetzt lange Zeit Mama, mit zunehmendem Spracherwerb hat er nun auch Papi und Papa übernommen.

(Wie) Sprichst du mit deinem Kind/deinen Kindern darüber wie sie „entstanden“ sind bzw. wie sie zu dir/euch gekommen sind?

Beide wissen, dass sie in meinem Bauch waren, und ich beantworte alle Fragen, die sie dazu von sich aus stellen. Das hält sich aktuell noch in Grenzen, kommt aber phasenweise immer mal wieder auf.

(Wie) Sprichst du mit deinem Kind/deinen Kindern über dein Trans*-/Nicht-binär-Sein?

Noch nicht konkret/explizit. Es war schon Thema, wo mein Penis ist (da sie mich ja auch auf dem Klo oder in der Badewanne sehen), und dann habe ich erklärt, dass die meisten Jungs einen Penis haben, und manche nicht. 

Weißt du von Angeboten für Regenbogenfamilien und gegebenenfalls für trans*_nicht-binäre Eltern und ihre Familien in deiner Region? Wenn ja, nimmst du sie in Anspruch?

Hier im direkten Umkreis gibt es bisher nichts, und für das nächstgelegene Angebot lohnt sich aktuell die Fahrzeit nicht. Wir waren bei einem überregionalen Treffen von der AG Elternschaft des BVT*; das hat allen sehr gut gefallen und gut getan. 

Was war als Kind dein Lieblingsbuch? 

Ich habe als Kind schon wahnsinnig viel gelesen, sodass es mir schwer fällt mich hier festzulegen. Spontan fällt mir »Der Zauberbaum und seine Freunde« von Enid Blyton ein.

Was sind aktuelle oder dauerhafte Lieblingsbücher deiner Kinder? 

Aktuell sind beim Großen Paw Patrol-Bücher hoch im Kurs, beim Kleinen alles Mögliche zum Angucken, mit Tieren, mit Baustellenfahrzeugen. Wir haben sehr viele Bücher und die Präferenzen für’s Lieblingsbuch wechseln ständig.

Umfeld

Wie hat dein Umfeld auf dein Elterwerden und Eltersein reagiert und wie gestaltet sich das mittlerweile? Welche Erfahrungen hast du mit Freund*innen und gegebenenfalls deiner Herkunftsfamilie gemacht? Was hättest du dir gewünscht?

Wir haben durchgehend positive Rückmeldungen bekommen, als wir es unseren Familien und Freund*innen mitgeteilt haben. Einige waren überrascht. Einige Freundschaften haben sich etwas auseinander entwickelt, aber das erleben vermutlich die meisten Eltern, da sich die Themen ändern und die Zeit noch knapper wird. Da würde ich mir wünschen, dass sich einige Kontakte wieder intensivieren. 

Welche Erfahrungen hast du in Trans*- und/oder queeren Communities gemacht?

Wenige, aber alles, was mich erreicht hat, war positiv. Bei einigen trans* Menschen in meinem Umfeld hat es den eigenen Kinderwunsch, der vielleicht durch die Umstände nicht (mehr) ohne weiteres zu erfüllen ist (vor allem der Wunsch nach leiblichen Kindern), nach oben gebracht, sodass es zum einen zu vielen guten Gesprächen kam, aber sicherlich auch für einzelne eine etwas schmerzhafte Konfrontation war und ist.

Wie können deiner Meinung nach cis Co-Eltern/Partner*innen/Bezugspersonen trans*_nicht-binäre Eltern im Hinblick auf Elterwerden und -sein gut unterstützen? 

Offen sein für Gespräche, sensibel sein für Situationen und spezifische Probleme, Nachfragen, wenn man sich unsicher ist im Umgang, aber auch eigene Grenzen aufzeigen und kommunizieren.

Kita/Kindergarten, Schule und andere Institutionen

Wie gehst du/geht ihr in der Kita und in der Schule des Kindes/der Kinder mit Infos zu eurer Familienkonstellation um?

Wir haben zum Glück einen Platz in unserer Wunschkrippe bekommen, in der beide Kinder nun nacheinander waren/sind. Dort habe ich im Vorfeld beim Tag der offenen Tür die Einstellung und Erfahrungen zu bzw. mit gleichgeschlechtlichen Elternpaaren abgefragt. Beim Kennenlerngespräch haben wir dann gefragt, ob sie wissen möchten, wie unsere Kinder entstanden sind, und wir hatten ein sehr offenes und super angenehmes Gespräch. Uns war es wichtig, dass die dortigen Bezugspersonen informiert sind, damit unseren Kindern ihre Lebenswirklichkeit nicht abgesprochen wird (wenn sie beispielsweise mal erzählen, dass sie in meinem Bauch waren, oder dass in einem Buch ein Mann ein Baby im Bauch hat). Im Folgekindergarten wusste eine Erzieherin schon Bescheid und wir haben das OK gegeben, das im Team zu thematisieren, mit denselben Hintergedanken. Ich habe auch einmal einen Informationsworkshop für die Fachkräfte gegeben. Bei den anderen Eltern erzählen wir es denen, mit denen wir mehr Kontakt haben, oder falls wir direkt darauf (positiv) angesprochen werden. Wir möchten es weder thematisieren noch romantisieren, sondern dass möglichst normal und gleichwürdig damit umgegangen wird.

Wie erlebst du den Umgang von anderen Kindern, anderen Eltern, Erzieher*innen und Lehrkräften mit eurer Familienkonstellation? 

Bisher sehr positiv und aufgeschlossen. Wir sind im ständigen Austausch mit den Fachkräften, und haben vereinbart, dass, wenn es irgendwann einmal Thema in der Gruppe wird, sie auf uns zukommen, und sie die Eltern bei Fragen auch direkt an uns verweisen. Manchmal sind Kinder kurz irritiert, dass es bei uns keine Mami gibt, aber checken dann gleich, dass es eben zwei Papis sind. Bisher lief alles entspannend unspektakulär.

Gab es schwierige Situationen in Kita und Schule? Wenn ja, wie gehst du/geht ihr damit um? Wie unterstützt du/ihr deine/eure Kinder?

Bisher noch nicht, aber uns ist bewusst, dass dies mit zunehmendem Alter und in anderen Einrichtungen noch anders werden kann. Wir versuchen bis dahin unseren Kindern viel Selbstbewusstsein und Vertrauen in sich und uns als ihre Familie zu vermitteln durch einen positiven und selbstverständlichen Umgang.

Arbeitsplatz

Welche Erfahrungen hast du im beruflichen Kontext im Hinblick auf eure Familienkonstellation gemacht? Wie gehst du am Arbeitsplatz mit Infos zu eurer Familienkonstellation um? 

Die allermeisten Kolleg*innen wissen es und ich antworte offen auf Nachfragen und erwähne es auch, wenn es sich ergibt, ganz selbstverständlich. Ich möchte es weder tabuisieren noch verheimlichen noch besonders hervorheben (außer es geht um spezifische Problemstellungen) – im Grunde sind wir eine »ganz normale« Familie und ich möchte das nicht verbergen. Der Umgang ist in den meisten Fällen ein ganz selbstverständlicher.

Welche Erfahrungen hast du im Hinblick auf deine Schwangerschaft(en) am Arbeitsplatz gemacht?

In meinem Beruf geht man bei Offenlegen der Schwangerschaft direkt ins Beschäftigungsverbot. Das kam mir einerseits sehr entgehen, da ich mich so daheim isolieren und soziale Kontakte selbst steuern konnte, andererseits war dadurch meine Ankündigung dessen im Team gleichzeitig ein Outing als trans*, was vielen im Vorfeld nicht bewusst war. Die Rückmeldungen reichten von überrascht-perplex bis hin zu begeistert; negativ hat sich meines Wissens niemand geäußert. Von meinem Chef hatte ich durchgehend starken Rückhalt und Unterstützung, auch mit der Zusage, dass er bei Diskriminierung oder blöden Sprüchen sofort einschreiten und so etwas nicht dulden wird.

Identität

Hatte Dein Elterwerden und / oder Eltersein Einfluss auf die Entwicklung deiner geschlechtlichen Identität, Rolle und/oder Performance? Wenn ja, welchen?

Nein. Auch wenn mich das Elternsein bzw. -werden sicherlich verändert und geprägt hat, hatte das bisher nichts mit meiner geschlechtlichen Identität zu tun. Ich habe die Kinder ausgetragen, weil es für uns die einzig realistische und naheliegendste Option für eigene Kinder war, und nicht, weil ich schwanger sein wollte. Mein Körper bzw. seine Organe waren dafür Mittel zum Zweck und ich habe mich selbst eher als eine Art Brutkasten wahrgenommen.

Wirst du durch dein Elterwerden oder -sein bezüglich deines Geschlechts anders wahrgenommen als vorher? Wenn ja, was hat sich verändert?

Nein, nicht dass ich das bisher mitbekommen hätte. Die Leute sind eher so »wow krass, dass du das als Mann durchgezogen hast«. 

Haben sich deine eigenen Perspektiven auf Geschlecht durch die Elternschaft verändert? Wenn ja, wie?

Es wurde mir verdeutlicht, wie unterschätzt das Thema Schwangerschaft wird, und dass das höchstwahrscheinlich daran liegt, dass primär Frauen davon betroffen sind. Im Austausch mit anderen Eltern fand ich es erschreckend, wie stark diese Binarität und das alte Rollenverständnis von »der Mann geht arbeiten, die Frau kümmert sich um die Kinder« noch in unserer Gesellschaft präsent und aktiv sind, oft auch unbewusst oder auch überhaupt nicht reflektiert. 

Tipps und gegenseitiges Empowerment

Welche Tipps oder bestärkende Worte für (werdende) trans*_nicht-binäre Eltern möchtest du gern teilen? 

Tauscht euch mit anderen Menschen in eurer Situation aus! Das hat mir während meiner Schwangerschaften bzw. auch auf dem Weg dorthin am meisten Kraft und Halt gegeben. Und auch wenn es schwierig wird oder es sich körperlich manchmal oder auch oft total scheiße anfühlt – Elternsein ist mega anstrengend, aber beschert einem auch unglaubliche Erfahrungen und Gefühle. Es lohnt sich. :)