INTERVIEW

Lenn

Hallo, ich bin Lenn. Ich bin 33 Jahre alt und lebe in NRW. Meine Pronomen sind »er/ihm«, gerne kann auch mein Vorname anstelle von Pronomen benutzt werden. Ich bin eine nicht-binäre, trans*maskuline Person und Ingenieur für Automatisierungs- und Regelungstechnik. Ich interessiere mich für Philosophie, Soziologie und Psychologie, lese gerne Romane, Sach- und Science Fiction-Bücher und höre viele Podcasts. Ich liebe es in der Natur zu sein, Wandern, Joggen und Spazieren zu gehen, Fahrrad zu fahren und Bäume, Pflanzen und Tiere zu beobachten.

Familienkonstellation

Wie lebst du jetzt (im Hinblick auf die Familienkonstellation)?

Ich lebe seit 3 Jahren getrennt vom anderen Elternteil in einem wöchentlichen Wechselmodell mit meinen zwei Kindern (fast 6 und 8 Jahre alt), also jeweils eine Woche ohne, eine Woche zusammen mit den Kindern.

Wie ist deine rechtliche Situation bezüglich deines Kindes/deiner Kinder?

Ich bin leibliches Elternteil beider Kinder. Das andere Elternteil und ich teilen das Sorgerecht. In der Geburtsurkunde stehe ich noch mit meinem alten Namen und Personenstand, was aktuell nach meinen Kenntnissen auch nicht mit guten rechtlichen Aussichten änderbar ist. Hoffentlich wird sich dies durch das Selbstbestimmungsgesetz ändern, sollte es jemals verabschiedet werden und dann noch Gutes darin übrig sein.

Elter werden

Wie war dein Weg dahin Elter zu werden?

Ich hatte, relativ kurz nachdem ich meinen Ex-Partner mit Anfang 20 kennengelernt hatte, einen sehr starken Kinderwunsch, der rückblickend nicht durch die besten Gründe motiviert war. Wir haben, da ich zunächst nicht schwanger wurde und auch Zeugungseinschränkungen bei meinem Ex-Partner festgestellt wurden, reproduktionsmedizinische Leistungen in Anspruch genommen. Durch ICSI (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion) wurde ich im Rahmen der zweiten Behandlung schwanger und habe am Ende einer teilweise mit Komplikationen verbundenen Schwangerschaft mein erstes Kind zuhause geboren. Gut 1,5 Jahre später haben wir noch einmal einen assistierten Versuch unternommen, um ein zweites Kind zu bekommen – diesmal mit kryokonservierten Blastozsysten aus der letzten erfolgreichen Behandlung. Nachdem dies nicht erfolgreich war, habe ich meinen Zyklus mit Hilfe mehrerer Apps getrackt, meine Körpertemperatur gemessen und Fruchtbarkeitstests über Urinproben durchgeführt, um meinen Eisprung exakt zu bestimmen. Darüber wurde ich dann ohne weitere medizinische Eingriffe durch Sex ein zweites Mal schwanger und habe nach einer komplikationsfreien Schwangerschaft mein zweites Kind geboren.

Hat deine aktive Auseinandersetzung mit deiner Geschlechtsidentität und/oder dein (erstes) Coming-out als trans*_nichtbinär schon vor deinem Elterwerden stattgefunden oder begonnen? 

Mein erstes inneres Coming Out als trans* hatte ich wenige Monate, bevor ich meinen Ex-Partner kennengelernt habe, also ungefähr fünf Jahre vor meinem Elterwerden. Ich bin auf einen Blog von einem österreichischen trans* Mann gestoßen und war völlig perplex, dass trans*männliche Transitionen überhaupt existieren. Wir haben uns in dieser Phase, wo ich äußerlich eher »jungenhaft« bzw. »androgyn« unterwegs war, getroffen. Ich hatte mich nur meinem besten Freund anvertraut. In diesem – aus damaliger Perspektive – heteronormativen Setting in Kombination mit dem sehr akuten Kinderwunsch, der teilweise auch aus diesen heteronormativen Idealvorstellungen entstanden ist, habe ich mich selbst und meine Identität(sfindung) komplett aus den Augen verloren.

Hatte dein Coming-out als trans*_nichtbinär Einfluss auf deinen Kinderwunsch? Oder andersherum, hatte dein Elterwerden Einfluss auf dein Coming-out?

Mein Elterwerden hat mein tatsächliches, äußeres Coming Out – wie oben angedeutet – einerseits erstmal verschoben, weil ich erstmal komplett vom Leben mit Baby und dann Kindern absorbiert war und als Person kaum noch existiert habe. Parallel zu den Schwangerschaften habe ich außerdem zwei Studiengänge abgeschlossen und dann meine Berufstätigkeit aufgenommen, was zusätzlich keinen Raum für Gedanken oder Kapazitäten in diese Richtung gelassen hat. Andererseits hat mein Elterwerden mein Coming Out nach einiger Zeit dann auch katalysiert, weil ich dadurch, dass ich die Kinder geboren hatte und – von außen gesehen – in einer heterosexuellen Beziehung lebte, viel stärker als zuvor in die Kategorie »Frau und Mutter« einsortiert wurde, wo ich mich absolut nicht zugehörig gefühlt habe. Dies hat nach und nach so viel Unbehagen in mir ausgelöst, dass ich in meinen ersten Urlaubstagen, die ich alleine für mich hatte, den Entschluss gefasst habe, mich erst bei meinen wenigen engsten Freund*innen, dann bei meinem damaligen Partner und dann innerhalb meiner Herkunftsfamilie zu outen.

Hast du dich bzw. habt ihr euch hinsichtlich der Besonderheiten von trans*/queerer Elternschaft beraten lassen? Welche Erfahrungen hast du in diesem Zusammenhang gemacht?

Da mein endgültiges Coming Out nach dem Elterwerden liegt, habe ich keine derartige Beratung in Anspruch genommen. Ich hätte allerdings sehr gerne früher über Konzepte wie Co-Elternschaft gewusst, da dies wahrscheinlich eine bessere Option für mich als Person gewesen wäre, um Elternschaft passender zu meinen Bedürfnissen leben zu können.

Wie waren deine Erfahrungen mit medizinischem Personal während der Schwangerschaft(en) und gegebenenfalls der Geburt(en)?

Ich war während den Schwangerschaften ungeoutet, daher sind sicherlich viele mögliche Konflikte ausgeblieben. Die zwei Hebammen, die ich hatte, waren sehr kompetent und freundlich. Der erste Gynäkologe war schrecklich bevormundend, der zweite sehr entspannt und unterstützend.

Wie hast du/habt ihr entschieden, dass du versuchen möchtest schwanger zu werden?

Da nur ich über die notwendigen reproduktiven Organe verfüge, stand fest, dass ich schwanger werden müsste.

Wie hast du die Schwangerschaft(en) erlebt?

In der ersten Schwangerschaft habe ich mich sehr unwohl und unsicher gefühlt – auch, weil es ungefähr ab der Mitte Komplikationen gab, sodass ich Bettruhe halten musste. Die zweite Schwangerschaft war insgesamt viel sorgenfreier und selbstbestimmter – schon was die Entstehungsbedingungen anging; ich hatte von Anfang an alles selbst in der Hand und wusste bereits viel besser, wie es sich anfühlen würde, wie der gesamte Prozess funktioniert und auch wie eine Geburt abläuft. Das Gefühl von Autonomie und das Vertrauen in die Stärke und die Fähigkeiten meines Körpers hat mir insgesamt – auch für die spätere Transition – sehr gut getan, weil es etwas sehr Empowerndes für mich hatte, weil ich vorher keine (gute) Beziehung zu meinem Körper hatte und durch die Schwangerschaft(en) und Geburt(en) erleben konnte, wozu mein Körper fähig ist. Ich habe mich auf die zweite Geburt sehr intensiv mit Hypnobirthing-Methoden vorbereitet und habe diese dann auch als etwas sehr Bestärkendes für mich erlebt. Das Stillen war für mich – vielleicht kontraintuitiver Weise – auch eine sehr heilsame und gute Erfahrung, weil das erste Mal in meinem Leben meine Brüste für irgendetwas gut waren – nämlich meine Kinder die ersten Monate und Jahre zu ernähren – und nicht einfach nur unnötig oder störend waren. Generell stellen diese Erfahrungen für mich heraus, dass Körper(teile) kein Geschlecht haben, sondern einfach bestimmte Funktionen bereitstellen. Für mich standen diese reproduktiven Funktionen und die (interessanten) körperlichen Erfahrungen im Rahmen von Schwangerwerden, Schwangersein und Gebären absolut im Vordergrund – ganz unabhängig von einer geschlechtlichen Zuordnung meiner Person.

Familienalltag

Was macht dir im Moment im Hinblick auf deine Elternschaft am meisten Freude?

Am meisten freue ich mich, wenn wir alle miteinander »im Flow« sind, d.h. wenn sich das Zusammensein und Tun leicht und stimmig anfühlt – ohne, dass ich viel dafür tun, mich anstrengen muss. Ich freue mich, wenn ich die Kinder als begeisterungsfähig, neugierig und unbeschwert erlebe, wenn wir zusammen Quatsch machen oder kuscheln oder ein verbindendes Gespräch führen.  

Was sind zurzeit für dich die größten Herausforderungen am Eltersein?

Eine Woche hauptsächlich als Einzelperson für zwei Kinder im Kita- und Grundschulalter zu sorgen, ist jede Woche wieder eine enorme Herausforderung für mich. Allen Bedürfnissen (z.B. nach Aufmerksamkeit, Nahrung, Schlaf) und Anforderungen (z.B. Lohnarbeit, Einkauf, ärztliche Termine) – auch nur den nötigsten – gerecht zu werden, ist sehr schwierig und anstrengend. Dabei selbst auf mich zu achten, meine Kapazitätsgrenzen nicht ständig zu überschreiten, daran arbeite ich beständig. Wo liegen meine Prioritäten, grundsätzlich und situativ: auf meinem Job, meinen Kindern, mir selbst, meinen anderen sozialen Beziehungen, dem Haushalt, …? Oft fällt es mir schwer, hier eine gute Entscheidung zu treffen oder Balance zu finden. Denn eigentlich sind es – auch in der Intensität der einzelnen Bereiche – zu viele Anforderungen an eine Person. Mit den – oft starken – Gefühlen und dem Eigensinn der Kinder umzugehen, dabei Verständnis zu haben, emphatisch zu sein, möglichst gewaltfrei zu kommunizieren und zu handeln, eine Haltung zu zeigen, Wissen zu vermitteln, Halt und Orientierung zu geben, fordert mich jeden Tag heraus. Ich muss mich selbst, meine Gefühle, Erwartungen, Wünsche und Werte reflektieren, Flexibilität, Spontanität und Kompromissbereitschaft zeigen, um dies leisten zu können. Oft fällt es mir schwer, nicht zu hadern und an mir zu zweifeln, weil ich mich stark anstrenge, »ein gutes Elternteil" zu sein und dann doch oft das Gefühl habe, an meinen Ansprüchen und Vorstellungen zu scheitern. Gerade mache ich mir um ein Kind besondere Sorgen. Sich teilweise hilflos zu fühlen, ist ein sehr unangenehmes Gefühl – vor allem, weil ich mir aus meiner eigenen Erfahrung als Kind heraus sehr wünsche, dass meine Kinder nicht so schlimme Zustände erleben müssen, wo sie von Erwachsenen in ihrer Not im Stich gelassen werden. Daher versuche ich nun, für dieses Kind da zu sein und ihm hoffentlich die Unterstützung geben zu können, die es braucht.

Welche Herausforderungen gab es im Familienalltag, die mittlerweile überwunden sind?

Der Beginn meiner Transition, die darauf folgende Trennung und herausfordernde Zeit, in der wir als Paar getrennt noch mit den Kindern über mehrere Monate zusammen gelebt haben – während der beginnenden Corona-Pandemie – liegen nun bereits ein paar Jahre zurück. Diese Zeit war für mich von extremen Gefühlen geprägt – Euphorie, Angst, Wut, Enttäuschung, Trauer. Wie reagieren mein Ex-Partner, meine Kinder, meine Familie, das soziale Umfeld inklusive Kita und Schule? Werden diese mir nahestehenden Menschen meinen Namen und meine Pronomen akzeptieren und anwenden? Wie wirkt sich die medizinische Transition auf die Beziehungen aus? Wie organisieren wir unser Familienleben neu (z.B. Wohnung, Familienfeiern, Finanzen)? Werden die Kinder (langfristig) mit dem Wechselmodell zurechtkommen?

Wie möchtest du von deinem Kind/deinen Kindern genannt werden? Wie nennen sie dich?

Meine Kinder nennen mich beim Vornamen und nutzen in der Regel »er/ihm«-Pronomen für mich. Der Weg weg von »Mama« hat einige Zeit, viele Monate, gedauert – es war vor allem wichtig, dass andere Bezugspersonen der Kinder meinen Namen in ihrer Gegenwart zuverlässig verwenden; dadurch haben die Kinder dies durch Gewöhnung übernommen. Manchmal werde ich vom jüngeren Kind auch »Papa« genannt, ab und zu auch »Mama«, weil es jetzt erst in das Alter gekommen ist, wo es überhaupt erst versteht, was diese Begriffe und Konzepte für andere bedeuten. Während der Transition hatte dieses Kind aufgrund seiner altersgemäßen Entwicklung noch gar kein Verständnis dafür. Meist kann ich dies ohne großen emotionalen Widerstand als »Experiment« und Lernprozess des Kindes annehmen – manchmal macht es mich auch wütend und ich korrigiere das Kind und erkläre meine Identität und dass dieser Begriff nicht passend für mich ist.

(Wie) Sprichst du mit deinem Kind/deinen Kindern darüber wie sie „entstanden“ sind bzw. wie sie zu dir/euch gekommen sind?

Meine Kinder wissen (zumindest meistens), dass ich sie geboren habe. Tatsächlich ist dies gar nicht oft Thema bei uns – von den Kindern aus, da sie sich (bisher) nicht stark dafür interessieren. Mit dem älteren Kind habe ich öfter darüber gesprochen, dass auch Männer oder nicht-binäre Personen – also nicht nur Frauen – Kinder gebären und stillen können. Das jüngere Kind war auch dafür »noch zu klein« bzw. hatte kein Bewusstsein, diese Fragen überhaupt zu stellen. Bisher hat es, glaube ich, noch gar kein gefestigtes Bild / Verständnis von Geschlecht und körperlich-reproduktiven Funktionen.

(Wie) Sprichst du mit deinem Kind/deinen Kindern über dein Trans*-/Nicht-binär-Sein?

In unserem Alltag kommt es immer wieder situativ vor, dass ich nicht-binäre und trans* Personen erwähne – einfach, weil ich so eine Person bin und mit einer in einer Beziehung lebe. Dem älteren Kind habe ich über die letzten Jahre immer mal wieder – an passender Stelle, wo es sich im Kontext ergeben hat – »einen Vortrag dazu gehalten«. Dabei habe ich festgestellt, dass das in dieser extensiven Form das Kind wenig interessiert und es diese eher abstrakten Informationen nicht so gut aufnehmen kann oder will. Ich denke, dass sich in den nächsten Jahren, wenn weitere kognitive Entwicklungsschritte stattfinden, spätestens mit Beginn der Pubertät, noch viele Gesprächsmöglichkeiten ergeben. Beim Wann und Wie orientiere ich mich am Interesse der Kinder.

Weißt du von Angeboten für Regenbogenfamilien und gegebenenfalls für trans*_nicht-binäre Eltern und ihre Familien in deiner Region? Wenn ja, nimmst du sie in Anspruch?

Wir gehen regelmäßig zu einem Treffen für Regenbogenfamilien in unserer Stadt. Erst war ich sehr aufgeregt, nun finde ich es alle paar Monate eine nette Anlaufstelle, um andere queere Familien zu treffen. Wir waren auch schon auf einer Freizeit für Regenbogenfamilien über ein langes Wochenende dabei, die von einem Verein in der Region angeboten wird. Das war eine ganz tolle Möglichkeit für Austausch und Reflexion, die mir sehr gut getan hat. Da unser lokales Umfeld komplett cis-heteronormativ ist, ist es mir wichtig, dass meine Kinder Kontakt zu anderen Regenbogenfamilien bekommen, um zumindest in kleinen Ausschnitten erleben zu können, dass auch ihre Familie »normal« ist.

Was war als Kind dein Lieblingsbuch? 

Wuschel heißt der kleine Hund, munter ist er und gesund.

Was sind aktuelle oder dauerhafte Lieblingsbücher deiner Kinder? 

Die Kinder von Bullerbü; Korny in der Kita; Kalle und Elsa lieben die Nacht; When Aidan became a brother; Luzie Libero und der süße Onkel; Das große Kackaturnier; Harry Potter und der Stein der Weisen; Schule der magischen Tiere; alles zu Weltraum, Dinosauriern, Feuerwehr und Polizei

Umfeld

Wie hat dein Umfeld auf dein Elterwerden und Eltersein reagiert und wie gestaltet sich das mittlerweile? Welche Erfahrungen hast du mit Freund*innen und gegebenenfalls deiner Herkunftsfamilie gemacht? Was hättest du dir gewünscht?

Meine Mutter ist – seit Stunde Null – eine absolut begeisterte Oma. Sie verbringt – auf eigenen Wunsch und eigene Initiative – sehr regelmäßig, so gut wie wöchentlich Zeit mit den Kindern, unternimmt Ausflüge, fährt mit ihnen in den Urlaub, sie übernachten dort am Wochenende oder verbringen Feiertrage bei ihr, sie kauft Kleidung, besorgt Spielzeug. Dafür bin ich sehr dankbar, weil es eine Entlastung und am Ende ein Geschenk ist. Da ich sehr früh Kinder bekommen habe, gab es in meinem ursprünglichen Umfeld keine bzw. kaum Leute mit Kindern in der gleichen Zeit, allerdings hat eine Freundin von früher zwei Jahre später auch ein Kind bekommen – unser Kontakt ist aber nicht so eng. Zu Beginn meiner Transition und nach der Trennung gab es viele Sorgen und Bedenken seitens meiner Mutter – auch in Bezug auf die Kinder. Über die Zeit hat die Realität gezeigt, dass diese größtenteils unbegründet, wenn auch teilweise verständlich waren. Jetzt hat sich alles als »the new normal« eingespielt. Generell fühle ich mich eher einsam in meiner Elternschaft – was viele verschiedene Gründe und Faktoren hat, die ich hier nicht alle in ausreichendem Maß benennen kann und will. Ich würde mir mehr »Gemeinschaft« in meiner Elternschaft wünschen – mit Menschen, die ich wirklich mag und mit denen ich diese krasse Erfahrung im Alltag teilen könnte.

Welche Erfahrungen hast du in Trans*- und/oder queeren Communities gemacht?

In queeren Communities, wie in der lokalen Regenbogenfamiliengruppe oder auf der queeren Freizeit, treffe ich hauptsächlich auf cis-geschlechtliche lesbische Paare. Einmal war eine trans* Frau mit Freundin und Kind in der Gruppe, eine Person identifiziert sich ungeoutet eher als nicht-binär – diese Begegnungen haben mich sehr glücklich gemacht. Ein profaner Grund für die starke Repräsentation ist sicher, dass cis-lesbische nach cis-heterosexuellen Paaren strukturell noch den »besten« Zugang zu reproduktiven, medizinisch-assistierten Mitteln haben. Ich habe in diesen Räumen oft das Gefühl, mich erklären zu müssen, doch*auch ein »Fremdkörper« zu sein, der ggf. »weiblich misgendert« wird. In cis-queeren Gruppen fehlt aus meiner Erfahrung noch viel Wissen und Akzeptanz für trans* und nicht-binäre Personen. Oft gibt es dort auch nur »Mamas und Papas« – was schwierig sein kann, wenn primär über diese binär strukturierten Rollen Elternschaft definiert wird.

Wie können deiner Meinung nach cis Co-Eltern/Partner*innen/Bezugspersonen trans*_nicht-binäre Eltern im Hinblick auf Elterwerden und -sein gut unterstützen? 

Ich denke, dass es wichtig ist, sehr feinfühlig für Zwischentöne, Mikroaggressionen und Dysphorieauslöser zu sein, damit die trans*_nicht-binäre Person damit nicht alleine oder ständig in der Verantwortung ist, Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche zu kommunizieren. Vielleicht können die cis Personen im Umfeld extra Räume und Erlebnisse schaffen, die die trans*_nicht-binäre Person bestärken, z.B. Treffen mit anderen trans*_nicht-binären Elterpersonen oder Videos / Bilder auf Social Media. Empathie und Geduld sind sicherlich wichtige Eigenschaften / Verhaltensweisen, die in einer Phase potenziell erhöhter Verletzlichkeit und Unsicherheit besonders relevant sind. Cis Personen im Umfeld sollten die passenden Pronomen und (elterliche) Bezeichnungen für die trans*_nicht-binäre Person benutzen.

Wie können trans*_nicht-binäre Menschen mit gemeinsamer oder geteilter Eltern-/Bezugspersonenschaft sich gut gegenseitig unterstützen?

Ich glaube, trans*_nicht-binäre Personen können aus ihrer Gemeinschaft, dem gegenseitig tief empfundenen Verständnis ganz grundsätzlich viel Empowerment ziehen (*queer & trans* magic*), weil viele Erfahrungen, Sorgen und Ängste bzgl. körperlicher Dysphorie oder sozialer / rechtlicher / medizinischer Diskriminierung ähnlich sein können – auch unabhängig von Elternschaft. Nahe Bezugspersonen zu haben, mit denen diese existenziellen Erfahrungen und Gefühle geteilt werden können, kann sehr bestärkend sein.

Kita/Kindergarten, Schule und andere Institutionen

Wie gehst du/geht ihr in der Kita und in der Schule des Kindes/der Kinder mit Infos zu eurer Familienkonstellation um?

Beide Kinder waren in der Kita, als ich mein Comic Out hatte und meine Transition begonnen habe. Ich habe mit den Erzieherinnen gesprochen (einen Brief, den ich geschrieben hatte, brauchte es dann gar nicht) und bin zum Glück auf Verständnis und Offenheit gestoßen. Die Erzieherinnen haben dann meinen »neuen« Namen und Pronomen benutzt, um mich anzusprechen. In der Schule haben wir nicht explizit kommuniziert, wie unsere Familienkonstellation ist, weil es für mich aufgrund der bereits fortgeschrittenen Transition keine direkte Notwendigkeit gab. Ich weiß gar nicht genau, was die Lehrerinnen und anderen Mitarbeitenden dort denken. Ich vermute, viele halten uns für zwei Väter. Zumindest werde ich in der Regel auch mit »Herr« angesprochen oder angeschrieben; teilweise habe ich auch über E-Mailsignatur kommuniziert, dass ich eine nicht-binäre Person bin. Die Unsicherheit ist etwas seltsam, aber andererseits wollte ich mich dort »ohne Not nicht exponieren«, weil meine Angst, als Frau misgendert zu werden, immer noch größer ist.

Wie erlebst du den Umgang von anderen Kindern, anderen Eltern, Erzieher*innen und Lehrkräften mit eurer Familienkonstellation? 

Der Umgang im sozialen Umfeld ist sehr entspannt und unproblematisch. Unsere Familienkonstellation wird nie infrage gestellt oder thematisiert. Manchmal habe ich den Eindruck, cis Väter sind irritiert von mir, aber das ist gar nicht so schlecht.

Gab es schwierige Situationen in Kita und Schule? Wenn ja, wie gehst du/geht ihr damit um? Wie unterstützt du/ihr deine/eure Kinder?

Es gab bisher keine explizit schwierigen Situationen in Kita oder Schule. Das Schulkind fühlt sich allerdings manchmal durch Fragen anderer Kinder zu mir als Elternteil bedrängt, unwohl und überfordert, weil es sich unsicher fühlt, wie es antworten soll. Hier fühle ich mich manchmal selbst hilflos (und schuldig), da den meisten Kindern Nicht-Binarität wahrscheinlich gar nichts sagt und so fraglich ist, was eine gute Antwort wäre, die das Schulkind ohne zu großes Othering geben könnte. Hier bin ich gespannt, wie sich diese Fragen und Antworten im Laufe der Pubertät verändern, wo ich hoffe, dass die Kinder mit mehr Reflexionsvermögen und theoretischem Wissen selbstbewusster und klarer auftreten können.

Arbeitsplatz

Welche Erfahrungen hast du im beruflichen Kontext im Hinblick auf eure Familienkonstellation gemacht? Wie gehst du am Arbeitsplatz mit Infos zu eurer Familienkonstellation um? 

Auf der Arbeit bin ich nicht geoutet. Meine Kolleg*innen und Vorgesetzten halten mich für einen cis-hetero Mann, der Vater ist und getrennt von seiner ehemaligen cis-hetero Frau lebt. Das wurde im Bewerbungsgespräch so suggeriert und ich habe es nicht korrigiert, da ich froh um das Passing und die Stelle war. Es war fast so eine Art Triumph diese »Täuschung« erreicht zu haben. Mittlerweile leide ich eher ein bisschen unter dieser Fehlannahme, weil es sich falsch anfühlt, und habe mich zumindest bei einer Kollegin, der ich vertraue, teilweise geoutet, d.h. sie weiß, dass es einen Ex-Partner gibt und eine Partnerperson und das ich meine Familie als »Regenbogenfamilie« bezeichne. Sie hat dazu keine weiteren Fragen gestellt. Generell halten sich die Leute mit Fragen zu meinem Privatleben zurück, vielleicht weil ich hier eine Zurückhaltung meinerseits ausstrahle. Sollten explizite Fragen kommen oder Fehlannahmen geäußert werden, würde ich diese aktuell ehrlich beantworten oder korrigieren – zumindest, was meine sexuelle Orientierung angeht. Beim Thema trans*_nicht-binär wäre ich immer noch vorsichtig, da ich weiterhin Ängste habe, dann nicht mehr »ernst genommen« oder anders (aka schlechter) behandelt zu werden.

Welche Erfahrungen hast du im Hinblick auf deine Schwangerschaft(en) am Arbeitsplatz gemacht?

Beide Schwangerschaften liegen vor meinem Berufseinstieg. In den ersten Monaten habe ich noch gestillt und im Büro Milch abgepumpt, davor auch während eines Praktikums in einem Betrieb. Wenn Studium dazu zählt, konnte ich dort tun und lassen, was ich wollte. Da ich damals als Frau verstanden wurde, gab es keine Schwierigkeiten – nur ich selbst habe ich sehr unwohl gefühlt und wollte das alles gerne verstecken.

Identität

Hatte Dein Elterwerden und / oder Eltersein Einfluss auf die Entwicklung deiner geschlechtlichen Identität, Rolle und/oder Performance? Wenn ja, welchen?

Wie weiter oben bereits beschrieben, hat mein Elterwerden das Finden meiner geschlechtlichen Identität aufgrund der vielen neuen Anforderungen erstmal unterbrochen / verhindert und mein Eltersein diesen Selbstfindungsprozess dann katalysiert / radikalisiert, weil ich mich nicht als Mutter / Frau verstehen konnte und wollte. Ich denke, dass die Abgrenzung von Muttersein (und dann auch Vatersein) schon eine große Rolle für mich spielt, weil diese Kategorien im Bereich Familie so stark zentriert und zementiert sind. Die Auseinandersetzung mit mir selbst, mit meinen ausgeprägten ambivalenten und negativen Gefühlen in Bezug auf Elternschaft haben meine Identität in den letzten Jahren stark beeinflusst. Aktuell mache ich mir weniger Gedanken, was andere denken, wie sie mich einordnen oder bewerten und versuche, mich größtenteils so zu verhalten, zu kleiden und auszudrücken, wie es zu mir passt und mir gut tut.

Wirst du durch dein Elterwerden oder -sein bezüglich deines Geschlechts anders wahrgenommen als vorher? Wenn ja, was hat sich verändert?

In Anwesenheit der Kinder werde ich häufiger misgendert, also für eine Frau und/oder Mutter gehalten. Das hat sicher mit meiner Körpergröße zu tun und zuletzt auch damit, dass ich (trotz Teil-Dysphorie) meine Haare wieder wachsen lasse und gerne lila trage. Ich verstehe, auf welchen Annahmen die Fehldeutungen basieren, und es ist mir mittlerweile meistens egal, weil ich gefestigter in meiner Identität bin.

Haben sich deine eigenen Perspektiven auf Geschlecht durch die Elternschaft verändert? Wenn ja, wie?

In den gesellschaftlichen Bereich »Elternschaft/Familie« einzutreten, hat für mich krass deutlich gemacht, wie stark darin Geschlechterbinarität und die darauf fußende Machtasymmetrie verankert sind und reproduziert werden. Wie stark (cis-hetero) Frauen eine Retraditionalisierung durch Mutterschaft erfahren und – lebenslänglich – auf diesen – ökonomisch abgewerteten und ideologisch aufgeladenen – Platz verwiesen werden. Das hat mich schockiert und politisiert. Ich finde, Elternschaft von trans*_nicht-binären Personen revolutionär, weil dadurch selbst gewählte Familienkonstellationen gegen immense Widerstände entstehen und die »Keimzelle« der Gesellschaft verändert werden kann.

Tipps und gegenseitiges Empowerment

Welche Tipps oder bestärkende Worte für (werdende) trans*_nicht-binäre Eltern möchtest du gern teilen? 

Meine Erfahrung ist, dass die Ängste vor Diskriminierung / Widerständen – sei es im familiären Umfeld oder in gesellschaftlichen Institutionen – vorher viel größer sind und dass die meisten Begegnungen dann – wider Erwarten – gut sind. Ich glaube, es ist gut, mehr Kraft ins Handeln zu stecken als in Sorgen. Und wenn es doch schlimme Situationen gibt, hoffe ich, du hast liebe Menschen, die dich auffangen und wieder aufbauen. Sie sind es, die zählen. Elternschaft ist eine krasse Erfahrung. Wenn du dich (manchmal) einsam fühlst, traurig oder wütend, vielleicht sogar hoffnungslos oder verzweifelt, weil du denkst, du schaffst es nicht (mehr) oder dass du deine Entscheidung (teilweise) bereust – du bist nicht alleine mit deinen Gefühlen. Ich (und andere) habe(n) diese Gefühle schon gefühlt. Du bist gut, wie du bist. Du gibst dein Bestes, jeden Tag. Und es gibt Menschen, die dich lieben, wie du bist.