INTERVIEW

Max

Moin, ich bin Max, Jahrgang ’86 und wohne in einer Kleinstadt in NRW. Ich bin trans*, irgendwie männlich, aber irgendwie ist es mir auch mittlerweile glücklicherweise egal.

Familienkonstellation

Wie lebst du jetzt (im Hinblick auf die Familienkonstellation)?

Ich lebe mit meinem Mann und unseren zwei Kindern zusammen.

Wie ist deine rechtliche Situation bezüglich deines Kindes/deiner Kinder?

:D Der Weg dahin war schwierig, aber wir sind mittlerweile beide juristische Elternteile mit geteiltem Sorgerecht (wir waren zum Zeitpunkt der Geburten nicht verheiratet). In den Geburtsurkunden werde ich nach Rechtsstreit mit aktuellem Vornamen und neutral als Elternteil geführt. Im Geburtsregister erscheine ich mit aktuellem und altem Vornamen und werde als Mutter geführt. Dies ist meines Wissens bundesweit aktuell das rechtlich bestmögliche.

Elter werden

Wie war dein Weg dahin Elter zu werden?

Als ich mit meinem Partner 2012 entschieden habe, dass wir mit Kindern leben möchten, war es in Deutschland noch nicht möglich als schwules Paar zu adoptieren. Auslandsadoption kam für uns nicht in Frage und Pflegeeltern zu werden zu dem Zeitpunkt auch nicht. Da wir biologisch alles Notwendige mitbringen, haben wir daher entschieden, selbst reproduktiv aktiv zu werden. Leider gab es zu dem Zeitpunkt nur wenig medizinische Informationen zu trans* Schwangerschaften, z.B. zu der Frage, wie lange man Testosteron abgesetzt haben sollte, um keine negativen Effekte auf das Baby zu haben. Wir haben uns daher durch alles irgendwie durchgewurschtelt. Es hat etwas gedauert, bis wir erfolgreich waren. Nach drei Fehlgeburten kam unser erstes Kind und knapp drei Jahre später das zweite.

Hat deine aktive Auseinandersetzung mit deiner Geschlechtsidentität und/oder dein (erstes) Coming-out als trans*_nichtbinär schon vor deinem Elterwerden stattgefunden oder begonnen? 

Ja, viel länger davor und hatte weder zeitlich noch inhaltlich etwas damit zu tun.

Hatte dein Coming-out als trans*_nichtbinär Einfluss auf deinen Kinderwunsch? Oder andersherum, hatte dein Elterwerden Einfluss auf dein Coming-out?

Nee, gar nicht. Evtl. hätte ich ohne die Transition mir nicht vorstellen können, Kinder zu kriegen, weil mir die Konstellation zu hetero gewesen wäre, aber das ist Spekulation.

Hast du dich bzw. habt ihr euch hinsichtlich der Besonderheiten von trans*/queerer Elternschaft beraten lassen? Welche Erfahrungen hast du in diesem Zusammenhang gemacht?

Wir haben versucht mit den Ärzt*innen vor Ort Informationen herauszufinden, ob es medizinisch Dinge zu beachten gibt. Dies war aber mangels vorhandener Studien schlicht nicht möglich. Außerdem haben wir uns mit einem anderen trans* Mann vernetzt, der den Weg vorher bereits gegangen ist. Insgesamt waren wir dennoch in allen Bereichen Pioniere und konnten uns auf keine Erfahrungswerte stützen. Auch Beratungsstellen waren zu dem Zeitpunkt nicht so weit, dass sie dazu hätten beraten können.

Wie waren deine Erfahrungen mit medizinischem Personal während der Schwangerschaft(en) und gegebenenfalls der Geburt(en)?

Da wir schlechte Erfahrungen mit medizinischem Personal bei den Fehlgeburten hatten, haben wir uns im Vorfeld der Geburt mit der Klinik auseinandergesetzt, um sie darauf vorzubereiten, dass wir kommen werden. Das hat super geklappt, wir wurden nicht komisch angeschaut oder anders behandelt als andere. Auch unsere Hebamme, Gynäkologin und andere an der Schwangerschaft beteiligte Ärzt*innen waren durchweg professionell.

Wie hast du/habt ihr entschieden, dass du versuchen möchtest schwanger zu werden?

Wir wollten mit Kindern leben und alle anderen Wege waren für uns zu dem Zeitpunkt versperrt.

Wie hast du die Schwangerschaft(en) erlebt?

Ich habe die Zeit vor der Schwangerschaft als sehr schlimm erlebt. Testo abzusetzen hat mir psychisch nicht gut getan. Insbesondere, da ich auch noch mehrere Fehlgeburten hatte und entsprechend nicht wusste, ob das mit der Schwangerschaft überhaupt noch klappen wird. Mir fehlte der Endpunkt, ab dem ich wieder in meinem gewünschten Zustand leben konnte. Als ich endlich schwanger war (beide Male), wusste ich zumindest, dass es nach 9 Monaten zu Ende ist und ich wieder Testo nehmen kann. Die Schwangerschaften selbst fand ich körperlich wahnsinnig anstrengend, was aber nichts mit dem Thema Trans* zu tun hat. Wäre eine andere Option möglich gewesen, hätte ich gerne darauf verzichtet. Aber selbstverständlich waren da auch Vorfreude und schöne Gefühle mit verbunden.

Familienalltag

Was macht dir im Moment im Hinblick auf deine Elternschaft am meisten Freude?

Ich liebe es, die Entwicklung der beiden begleiten zu dürfen. Es ist toll zu sehen, wie viel sie aufnehmen und verarbeiten und wie stolz sie sind, wenn ihnen etwas Neues gelingt. Außerdem kann ich einige verpasste Kindheitserlebnisse nachholen, die mir aufgrund finanzieller Schwierigkeiten als Kind verwehrt blieben.

Was sind zurzeit für dich die größten Herausforderungen am Eltersein?

Herausfordernd ist für mich die Energieintensität, die Kinder verlangen. Ich bin seit Jahren müde und habe keine Ahnung, ob ich je wieder richtig wach werde. Das macht es für mich auch schwierig, auf die teilweise besonderen Bedürfnisse der Kinder angemessen reagieren zu können.

Welche Herausforderungen gab es im Familienalltag, die mittlerweile überwunden sind?

Säuglinge und Kleinkinder sind unglaublich bedürftig. Mit zunehmendem Alter und Selbstständigkeit erlangen wir zunehmend unsere Freiheiten und Ruhephasen wieder. Außerdem sind beide Kinder in einem Alter, in dem sie sprechen können und wir kommunikativ klären können, was gerade los ist. Insbesondere das große Kind hat als Baby/Kleinkind sehr viel und sehr laut geschrien und man musste immer Rätselraten, was eigentlich das Problem war (meist haben wir es nicht herausgefunden). Miteinander ins Gespräch kommen zu können, erleichtert das Leben ungemein.

Wie möchtest du von deinem Kind/deinen Kindern genannt werden? Wie nennen sie dich?

Sie nennen mich Papa und meinen Partner Papi. Manchmal rufen sie uns auch beim Vornamen, damit kann ich auch gut umgehen.

(Wie) Sprichst du mit deinem Kind/deinen Kindern darüber wie sie „entstanden“ sind bzw. wie sie zu dir/euch gekommen sind?

Sie wissen beide, dass sie bei mir im Bauch waren und dank kindgerechter Aufklärungsbücher wissen sie auch grob, wie sie da hingekommen sind. Mir ist wichtig, meinen Kindern darüber zum einen keinen Quatsch zu erzählen und zum anderen sie nicht zu Geheimnisträger*innen zu machen. Sie dürfen offen über ihre Entstehung auch mit anderen sprechen. Dass ich überall out sein muss, war mir bewusst mit der Entscheidung, Kinder bekommen zu wollen.

(Wie) Sprichst du mit deinem Kind/deinen Kindern über dein Trans*-/Nicht-binär-Sein?

Wenn meine Kinder fragen, versuche ich bestmöglich zu antworten. Sie fragen eigentlich nicht oft, aber wenn, dann meist in für mich unpassenden Situationen, oder weil sie von Freund*innen gedrängt werden nachzufragen. Ich versuche Kinder allgemein erst einmal in der Wortwahl zu lassen, die sie mir anbieten (z.B. »Warst du früher mal ein Mädchen?«). Manchmal sage ich dazu, dass ich es anders nennen würde.

Weißt du von Angeboten für Regenbogenfamilien und gegebenenfalls für trans*_nicht-binäre Eltern und ihre Familien in deiner Region? Wenn ja, nimmst du sie in Anspruch?

Ich weiß von Angeboten für Regenbogenfamilien vor Ort, meines Wissens finden sich dort allerdings »nur« lesbische Paare, weswegen wir sie nicht nutzen. Außerdem gibt es eine Gruppe für Menschen mit sehr kleinen Kindern, die wir entsprechend auch nicht nutzen können.

Was war als Kind dein Lieblingsbuch? 

Im Alter von Bilderbüchern mochte ich »Der kleine Angsthase« von Elizabeth Shaw sehr gerne.

Was sind aktuelle oder dauerhafte Lieblingsbücher deiner Kinder? 

Wir haben so viele Bücher zu Hause und lesen so viel, dass ich die Frage in Bezug auf meine Kinder nicht so einfach beantworten kann. Phasenweise waren die Bücher vom kleinen Raben Socke hoch im Kurs. Aber beispielsweise auch die Juli-Geschichten von Jutta Bauer. Aktuell liest das jüngere Kind gerne »Ein Baby! Wie eine Familie entsteht« von Rachel Greener und das größere die Harry Potter-Reihe.

Umfeld

Wie hat dein Umfeld auf dein Elterwerden und Eltersein reagiert und wie gestaltet sich das mittlerweile? Welche Erfahrungen hast du mit Freund*innen und gegebenenfalls deiner Herkunftsfamilie gemacht? Was hättest du dir gewünscht?

Relativ viele Menschen haben mich in der ersten Schwangerschaft gefragt, ob ich »jetzt wieder eine Frau« sei. Das fand ich unglaublich irritierend und auch störend. Ansonsten haben sich Freund*innen und auch die engere Familie mit uns gefreut und alle anderen haben wir größtenteils ignoriert.

Welche Erfahrungen hast du in Trans*- und/oder queeren Communities gemacht?

Eigentlich sehr gute. Ich kann nur empfehlen, sich ein queeres Umfeld zu suchen.

Wie können deiner Meinung nach cis Co-Eltern/Partner*innen/Bezugspersonen trans*_nicht-binäre Eltern im Hinblick auf Elterwerden und -sein gut unterstützen? 

Kommunikation ist ein großartiges Instrument, um genau dies gemeinsam zu entwickeln. Ich denke nicht, dass es Patentrezepte gibt, dafür sind wir alle zu verschieden und haben zu unterschiedliche Bedürfnisse. Miteinander sprechen hilft aber meistens.

Wie können trans*_nicht-binäre Menschen mit gemeinsamer oder geteilter Eltern-/Bezugspersonenschaft sich gut gegenseitig unterstützen?

Am besten ihr findet es zusammen heraus. :)

Kita/Kindergarten, Schule und andere Institutionen

Wie gehst du/geht ihr in der Kita und in der Schule des Kindes/der Kinder mit Infos zu eurer Familienkonstellation um?

In der Kita wussten die Erzieher*innen um die Entstehung der beiden. Sie haben die Erlaubnis, Kindern Fragen zu beantworten, oder diese zu uns zu schicken mit Fragen. Die Lehrerin der Großen weiß, dass diese zwei Väter hat. Wie sie entstanden ist, hat die Lehrerin nicht gefragt. Grundsätzlich erzählen wir nicht von uns aus, sondern nur auf Nachfrage. Die Kinder dürfen alles teilen, was sie wollen. Aber Kita und Schule sind ihre Räume, da möchten wir auch nicht vorauseilen und entscheiden, was da besprochen wird. Bisher klappt das ganz gut.

Wie erlebst du den Umgang von anderen Kindern, anderen Eltern, Erzieher*innen und Lehrkräften mit eurer Familienkonstellation? 

Tatsächlich sehr offen und »normal«. Die meisten sind interessiert und haben zumindest vordergründig kein Problem mit uns. Und wenn doch, behalten sie es zumindest für sich. :) Kinder haben häufig mal Fragen, weil sie von ihren Eltern nur heteronormative Aufklärung erfahren. Aber wenn man ihnen erklärt, dass es bei uns eben anders ist, ist das bisher in der Regel dann auch wieder okay.

Gab es schwierige Situationen in Kita und Schule? Wenn ja, wie gehst du/geht ihr damit um? Wie unterstützt du/ihr deine/eure Kinder?

Als ich das zweite Mal schwanger war, ist die Große (damals 2,5 Jahre alt) von Erwachsenen häufiger berichtigt worden, wenn sie gesagt hat, dass ihr Papa ein Baby im Bauch hat. Ich fand es wahnsinnig anstrengend, dass sich Erwachsene einmischen und meinen, sie wüssten es besser als das Kind, das ja schließlich in der Familie ist. Sie hat das aber sehr selbstbewusst gelöst; das war schön zu hören. Ansonsten hatten wir in Bezug auf unsere Familienkonstellation bisher sehr viel Glück (bzw. größtenteils einen Zustand, wie er auch sein sollte!), was ich sehr zu schätzen weiß. Ich hoffe für meine Kinder, dass dies auch so bleibt und sie so lange wie möglich von queerfeindlichem Müll befreit bleiben.

Arbeitsplatz

Welche Erfahrungen hast du im beruflichen Kontext im Hinblick auf eure Familienkonstellation gemacht? Wie gehst du am Arbeitsplatz mit Infos zu eurer Familienkonstellation um? 

Mein Arbeitgeber während meiner ersten Schwangerschaft war ziemlich uncool; dorthin bin ich nach der Elternzeit nicht zurückgekehrt. Mittlerweile habe ich ein gutes Arbeitsumfeld und meine Familienkonstellation ist kein Geheimnis. Wenn Menschen fragen, antworte ich so ehrlich, wie ich gerade Lust habe.

Welche Erfahrungen hast du im Hinblick auf deine Schwangerschaft(en) am Arbeitsplatz gemacht?

Schlechte. Schutz während der Schwangerschaft war wenig vorhanden und ich musste mir alles erkämpfen. Zudem gab es wohl Schwierigkeiten bei der Meldung der Schwangerschaft, weil nicht vorgesehen ist (oder war), dass man in Deutschland als Mann schwanger werden kann und alle Formulare überfordert waren.

Identität

Hatte Dein Elterwerden und / oder Eltersein Einfluss auf die Entwicklung deiner geschlechtlichen Identität, Rolle und/oder Performance? Wenn ja, welchen?

Nee, eigentlich gar nicht. Zumindest nicht, dass ich es wahrnehme.

Wirst du durch dein Elterwerden oder -sein bezüglich deines Geschlechts anders wahrgenommen als vorher? Wenn ja, was hat sich verändert?

Ja, sobald ich einen Kinderwagen in der Hand hatte, wurde ich misgendert. Das war faszinierend und frustrierend und ist mir selbst in den Schwangerschaften so nicht passiert. Mittlerweile hat sich das zum Glück wieder gelegt.

Haben sich deine eigenen Perspektiven auf Geschlecht durch die Elternschaft verändert? Wenn ja, wie?

Ich glaube ehrlich gesagt nicht.

Tipps und gegenseitiges Empowerment

Welche Tipps oder bestärkende Worte für (werdende) trans*_nicht-binäre Eltern möchtest du gern teilen? 

Ich empfehle, sich um möglichst viel im Vorfeld zu kümmern. Wir hatten recht schnell eine (selbst lesbische) Hebamme, meine Gynäkologin ist ebenfalls lesbisch und mit der Geburtsklinik hatten wir im Vorfeld ein Gespräch. Schwangerschaften und Geburten sind für sich genommen äußerst anstrengend; es ist gut in der akuten Situation keine Identitätsdebatte führen zu müssen. Ich fand die rechtliche Auseinandersetzung um die Geburtsurkunden und mich (mir wurde beim zweiten Kind der Vorname aberkannt) äußerst belastend. Damit sollte man sich ebenfalls im Vorfeld auseinandersetzen und sich ein dickes Polster zulegen. Außerdem empfehle ich die ersten Wochen Freund*innen einzuspannen, also dass sie z.B. mal Essen zu kochen, mal eine Nachtschicht übernehmen oder einfach da sind, um nicht so einsam zu sein. Insbesondere beim ersten Kind habe ich das sehr unterschätzt.